BR-KLASSIK

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"Frankfurt diaries" Getanzte Erinnerungen

William Forsythe ist einer der ganz großen Choreografen unserer Zeit. Besonderen Ruhm erreichte er mit seiner Frankfurter Kompanie. Viele seiner Tänzer sind stark von der Arbeit mit Forsythe geprägt und wurden selbst zu Choreografen. Fünf davon haben sich unter der Leitung von Antony Rizzi zusammengetan und schufen "Frankfurt diaries", eine getanzte Erinnerung an die Zeit mit Forsythe, uraufgeführt mit dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters. Außerdem auf dem Programm: die München-Premiere des Forsythe-Klassikers "One flat thing - reproduced".

Bildquelle: Marie-Laure Briane

Tanzkritik

"Frankfurt Diaries" am Gärtnerplatztheater

Ein dumpfes Donnern grollt über die Bühne, ausgelöst von schweren Holztischen, die die Tänzer hinter sich her ziehen, in einem Tempo, als würden sie nichts wiegen. "One flat thing - reproduced", das sind zwanzig Tische, die den Tänzern zum Partner werden. Sie gleiten auf ihnen, stemmen sich hoch, springen über sie wie Hürdenläufer, rollen unter ihnen durch, hangeln sich von Tisch zu Tisch durch die schmalen Reihen. Die geniale Choreografie von William Forsythe schafft es, 14 Tänzer gleichzeitig schnell, kraftvoll und risikoreich innerhalb dieses engen Bewegungsraumes zwischen Metallkanten und harten Holzplatten so zu inszenieren, dass eine völlig neue Bewegungsfreiheit entsteht. Ein Marathon im Tempo eines Sprints, knochenhart und gnadenlos, aber auch voller Spielfreude und Varianz. "One flat thing - reproduced" ist ein intensives, dynamisches Erfolgswerk von William Forsythe, das das Gärtnerplatzensemble so kraftvoll auf die Bühne bringt, wie man es kennt.

Ein philosophisches Nichts

William Forsythe schaffte es mit solchen Stücken, das Ballett nach der Neoklassik zeitgemäß weiterzuentwickeln. Doch wie geht es in der Tanzgeschichte weiter, seit Forsythe die von ihm gegründete Frankfurter Kompanie nicht mehr leitet? Das Gärtnerplatztheater wagt den Versuch und spannt vor die München-Premiere von "One flat thing" eine Uraufführung: In "Frankfurt diaries" tun sich fünf ehemalige Forsythe-Tänzer zusammen und erzählen in Choreografien, was er in ihren Köpfen und Körpern hinterlassen und verändert hat. "Frankfurt Diaries" unter Leitung von Antony Rizzi, dem langjährigen Assistenten Forsythes, ist Erinnerung und Fortschreibung zugleich. Doch am Anfang ist erstmal - nichts. Ein philosophisches Nichts. "Nothing". Oder auch: "no thing". Also muss da doch ein Ding sein, überlegt ein Tänzer laut. Ein "no thing" eben. Und um dieses Ding herauszuarbeiten, darum ging es Forsythe in seiner Kompanie. Das Mittel, um es zu finden: Improvisation. Jeder Tänzer ist damit Teil des schöpferischen Prozesses vom Nichts hin zum Stück. "Frankfurt Diaries" bringt das, was normalerweise im Probenraum passiert, vor die Augen des Publikums.

Abstrakter Kosmos der Improvisationskunst

Ein Problem birgt das allerdings: An manchen Stellen wird es sehr plakativ und direkt. Ein Tänzer mimt den Choreografen, der der Ballerina Anleitung beim Improvisieren gibt, ab und an unterbricht er die Bewegungen, um nochmal einen Leitsatz unterzubringen. Aber womöglich ist das notwendig, um in den abstrakten Kosmos der Improvisationskunst einzuführen. Wenn die Tänzer mit ihren Bewegungsaufgaben über die Bühne mäandern, könnten schnell Fragezeichen auf die Gesichter derjenigen kommen, die klassisch schöne Formen gewohnt sind. "Frankfurt Diaries" ist nichts dergleichen. Es ist das Labor Forsythe auf die Bühne gestellt. Die eine Tänzerin verbiegt sich ruckartig wie ein Insekt, ein anderer probiert während eines Balanceaktes, sich maximal in den Raum zu strecken, und dann kommt ein Tänzer-Duo, das sich gegenseitig über die Bühne stößt.

Dabei haben die Choreografen immer wieder schöne visuelle Ideen: Beispielsweise den Tisch, als Symbol für "one flat thing" von vorneherein in die "Frankfurt diaries" mit einzubeziehen, in verschiedenen Varianten, bis so viele Tische auf der Bühne sind, dass das Forsythe-Stück beginnen kann. "Frankfurt Diaries" ist tiefgründig, erklärend, stellenweise sogar witzig und zeigt vor allem eines: Forsythe hat seine Tänzer zu Schöpfern emanzipiert, sie angeregt, sich dem Nichts zu stellen, das sich auftut, wenn alle klassischen Formen gesprengt sind; und etwas Neues zu finden. Doch der Höhepunkt des Abends blieb - unangetastet - das bewährte Stück des Meisterchoreografen William Forsythe selbst.

Weitere Vorstellungen

21. November, 19.30 Uhr
22. November, 18.00 Uhr
24. November, 19.30 Uhr
25. November, 19.30 Uhr
26. November, 19.30 Uhr
27. November, 19.30 Uhr
28. November, 19.30 Uhr

Ausführliche Informationen auch auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters

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