Sein Repertoire reichte von Händel bis Reimann und mit seinen Inszenierungen prägte der Berliner Harry Kupfer ein Stück deutsch-deutsche Theatergeschichte. Am 30. Dezember ist der weltberühmte Opernregisseur nach längerer Krankheit im Alter von 84 Jahren gestorben.
Bildquelle: picture-alliance/ ZB
Die Würdigung anhören
Harry Kupfer war der sinnliche Analytiker unter den Opernregisseuren. Sein brillanter theatraler Intellekt beschränkte sich nicht aufs Ausdeuten der Weltliteratur der Oper, ihm gelang es, in enger Verzahnung mit der Musik aus seinen Erkenntnissen immer auch szenische Funken zu schlagen und ein sinnliches Theater zu kreieren – mit den Sängerinnen und Sängern, nicht gegen sie: "Ich tue nichts gegen den Willen eines Sängers, gegen das Gefühl, dass irgendetwas nicht geht, sondern ich mache es mit ihm gemeinsam. Allerdings habe ich die Gabe, aus ihm Dinge heraus zu holen, von denen er selber gar nicht mal weiß, dass er sie hat."
Ich habe die Gabe, aus einem Sänger Dinge heraus zu holen, von denen er selber gar nicht mal weiß, dass er sie hat.
Es war Wagners "Fliegender Holländer" bei den Bayreuther Festspielen 1978, mit dem der DDR-Künstler Harry Kupfer schlagartig auch im Westen berühmt wurde. Wagners Erlösungsoper inszenierte Kupfer mit dem Fokus auf die Figur der Senta und deren Psychosen. Der Holländer erschien so als Wunschbildprojektion einer traumatisierten Frau.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Geboren wurde Harry Kupfer 1935 in Berlin, seine Theaterkarriere begann er in Halle, wo er nach seinem Studium der Theaterwissenschaft als 23-Jähriger Antonín Dvořáks "Rusalka" inszenierte. Bald schon wurde er Operndirektor in Dresden und schließlich holte man ihn an die Komische Oper nach Berlin, wo Kupfer an die Tradition des großen Walter Felsenstein anknüpfte, aber natürlich mit seiner eigenen Handschrift: "Die wunderbarste Theater-Zeit war die DDR-Theater-Zeit, weil da Theater vom Inhalt her gesehen, politisch und aussagemäßig notwendig war; das war notwendiger als ein Stück Brot, weil was vom Theater runterkam – wenn man die Botschaft richtig verschlüsselte – das hat natürlich eine Reaktion beim Publikum erzeugt, wie man sie nie wieder gekriegt hat."
Kupfer gehörte zu den privilegierten DDR-Künstlern, denen es erlaubt wurde, auch im Ausland zu arbeiten. Dennoch dachte er nicht daran, die DDR zu verlassen. Seine künstlerische Heimat war und blieb die Komische Oper. Erst nach dem Mauerfall und 20-jähriger Tätigkeit dort, überließ er das Feld einem Jüngeren. "Der Geist des Hauses ist einmalig. War einmalig. Es war vom Pförtner angefangen über jedes Gewerk im Haus alles für die Bühne, alles für den künstlerischen Vorgang. Ich hab' ja nun auch in der ganzen Welt inszeniert, aber das findet man sonst fast nirgendwo."
Ich hab‘ ja nun auch in der ganzen Welt inszeniert, aber das findet man sonst fast nirgendwo.
Szene aus "Lady Macbeth von Mzensk", Bayerische Staatsoper 2016 | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Harry Kupfer inszenierte bei den Salzburger Festspielen, an der Mailänder Scala, in München, in Wien, San Francisco oder Moskau. Sein Repertoire reichte von Händel bis zu Uraufführungswerken wie Aribert Reimanns Oper "Bernarda Albas Haus", die er im Jahr 2000 für die Bayerische Staatsoper in Szene setzte. Stets faszinierte Kupfers Fähigkeit, Aussagen prägnant szenisch zu übersetzen und auch Kollektive auf der Bühne wie Ensembles und Chöre lebensnah und spannungsreich zu bewegen – wie zum Beispiel in Tschaikowskys "Jungfrau von Orléans", die ebenfalls in München mit Waltraut Meier in der Titelrolle zu bestaunen war. Seinen geradezu jungenhaften Elan, seine Begeisterungsfähigkeit und seine Fähigkeit, andere zu begeistern, hat Harry Kupfer sich bis ins hohe Alter erhalten. Damit prägte er ein Stück deutsch-deutsche Theatergeschichte.
Sendung: "Allegro" am 2. Januar 2020 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK