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Herbert Blomstedt zu Gast beim BRSO "Die Europa-Idee ist ganz wunderbar"

Dirigent sei ein guter Beruf, um alt zu werden, meint Herbert Blomstedt. Schließlich "braucht man Herausforderungen, wenn man älter wird" - das ist das Credo des bald 92-Jährigen. Am 30. und 31. Mai war Herbert Blomstedt zu Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Werken von Jean Sibelius und Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Konzert bietet BR-KLASSIK in voller Länge zum Anhören an.

Das Interview zum Anhören

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BR-KLASSIK: In Ihrer Kindheit haben Sie als Schwede in Finnland gelebt, geboren wurden Sie in Amerika, heute leben Sie in der Schweiz – und trotzdem könnte man Sie als einen Europäer par excellence bezeichnen. Mit welchen Gefühlen beobachten Sie das Erstarken der rechten Parteien, z.B. bei der Europawahl am vergangenen Wochenende?

Herbert Blomstedt: Das macht mich sehr unruhig. Für mich als reisenden Musiker ist die Europaidee eine ganz wunderbare Idee. Die Einfachheit des Reisens in Europa - keine Passformalitäten, dieselbe Währung in vielen Ländern und das Gefühl, dass wir eine Gemeinsamkeit bilden, auch wenn wir sehr verschieden sind - das freut mich. Und diese Tendenz zum Nationalismus finde ich sehr gefährlich. Der übertriebene Nationalismus hat immerhin zu zwei Weltkriegen geführt. Dass die Deutschen ihr Land lieben, ist völlig in Ordnung, so soll es auch sein. Aber man muss auch mit den Nachbarn freundlich umgehen und sich über die Verschiedenheit freuen. Die Schweiz ist da ein sehr gutes Beispiel: Dort gibt es vier Sprachen, die alle gleichberechtigt sind. Und die 26 Kantone sind sehr selbstständig. Die Steuergesetze sind zum Beispiel in den einzelnen Kantonen sehr unterschiedlich. Und trotzdem ist es ein Land, das zusammengehört. Das Europa, das mir vorschwebt, ist nach dem Schweizer Modell gebaut: Viele Länder haben eine gemeinsame Vorstellung vom idealen Leben und sind sehr freundlich miteinander.

Ich als Schwede hatte oft Angst vor meinen finnischen Kameraden.
Herbert Blomstedt

BR-KLASSIK: Sie selbst sind schon sehr früh mit Nationalismus in Kontakt gekommen. Ihr Vater, ein Pastor, wurde nach Finnland geschickt - und die Finnen mochten die Schweden damals nicht besonders. Ist diese Art von Nationalismus, den Sie als Kind erlebt haben, vergleichbar mit der heutigen Situation?

Herbert Blomstedt: Das hat einen ganz anderen Hintergrund. Ich kam als Fünfjähriger aus Schweden nach Finnland, da war Finnland eine sehr junge Nation und erst seit 15 Jahren unabhängig. Ich als Schwede hatte oft Angst vor meinen finnischen Kameraden. Die wollten nicht mehr schwedisch sprechen, nur finnisch. Und jeder Junge hatte ein Messer am Gürtel. Das war ein Symbol: Wir sind kräftig, wir können uns rächen, also hütet euch vor uns! Das war schon ein bisschen erschreckend. Aber das waren alles nur Kinderkrankheiten einer jungen Nation. Heute ist es überhaupt nicht mehr so. Die Finnen sind wirklich Europäer, sie freuen sich über fremde Nationen, und die können sich in Finnland auch zu Hause fühlen.

Die Leute gehen nicht mehr in die Kirche, der Glaube verbindet sie nicht mehr.
Herbert Blomstedt

BR-KLASSIK: Haben Sie eine Idee, was die zunehmende Spaltung Europas eindämmen könnte?

Herbert Blomstedt: Ein Besinnen auf die gemeinsamen Werte. Da kommt natürlich auch die Säkularisierung mit ins Spiel. Früher war die Religion ein verbindendes Element. Auch wenn es da viele Spaltungen zwischen Protestanten, Katholiken und so weiter gab. Aber sie haben alle an denselben Gott geglaubt und das hat die Ethik im Zusammenleben der Kulturen größtenteils bestimmt. Und das ist heute praktisch weg. Die Leute gehen nicht mehr in die Kirche, der Glaube verbindet sie nicht mehr. Und mit den muslimischen Einwanderern ist ein altes Gespenst wieder aufgetreten: "Die Muslime drohen, Europa zu übernehmen." So wie im 15. Jahrhundert, da standen ja die Muslime vor den Toren Wiens. Dass das jetzt in einer anderen Form wieder zurückkommen könnte, davor haben viele Menschen Angst. Die einzig gute Art, damit zu umzugehen, ist einander zu respektieren und zu verstehen. Und ich finde, viele muslimische Bürger in Europa machen das sehr gut. Die bemühen sich, unsere Kultur zu verstehen.

Herbert Blomstedt und das BRSO - Infos zum Konzert

Am 30. und 31. Mai dirigierte Herbert Blomstedt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Auf dem Programm: Symphonien von Jean Sibelius und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie ein Intermezzo von Wilhelm Stenhammar.

Hier können Sie das komplette Konzert anhören.