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Kritik – "Herkules am Thermodon" in Passau Macho-Männer gegen wehrhafte Frauen

Es war die erste Musiktheater-Premiere vor Live-Publikum nach dem Lockdown: Das Landestheater Niederbayern zeigte eine Barock-Rarität von Antonio Vivaldi, die zum ersten Mal in Deutschland zu sehen ist. Es geht um einen hochaktuellen, erbitterten Geschlechter-Krieg.

Herkules am Thermodon – Inszenierung in Passau | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai

Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai

Auf der Bühne wird echte Herkules-Arbeit gestemmt, fast drei Stunden lang plagt sich der Muskel-Mann, aber irgendwie heldisch kamen sich auch alle anderen Anwesenden im Fürstbischöflichen Opernhaus von Passau vor: Der Intendant trat sichtlich bewegt vor den Vorhang, die 92 glücklichen Zuschauer bejubelten sich und überhaupt alles am zaghaft aufkeimenden Kulturleben und der Bayerische Kunstminister Bernd Sibler in der ersten Reihe zückte prompt sein Handy und knipste zu den ersten Takten der Ouvertüre das Orchester – ein wahrhaft historischer Moment, diese allererste Opernpremiere nach dem monatelangen Lockdown.

"Wir sind die einzigen in Deutschland, die spielen"

Herkules am Thermodon – Inszenierung in Passau | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Ewelina Osowska (Martesia), Sabine Noack (Antiope) und Henrike Henoch (Ippolita) | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Sibler war sichtlich stolz: "Wir sind die einzigen in Deutschland, die spielen, abgesehen von einem kleinen Modellversuch in Schleswig-Holstein. Die Kulturminister, die wir am vergangenen Mittwochabend zu einer Konferenz zusammengeschaltet hatten, waren etwas neidisch auf Bayern, weil wir gottseidank jetzt Opern-, Theater- und Konzerthäuser öffnen können. Wir sind hier in Deutschland ein ganzes Stück weit vorne, und ich bin froh, weil wir wissen, dass wir den Künstlern, aber auch dem Publikum eine Perspektive bieten können. Es war ein schwieriger Kampf und ich hoffe, dass die Inzidenzen unter 100 bleiben, so dass wir diesen Weg weiter konsequent gehen können."

Allerdings war in Passau auch zu erleben, wie schnell sich die Infektionslage ändern kann: Die Dreiflüsse-Stadt war schon mal unter eine Inzidenz von 25 gerutscht und steht aktuell wieder bei rund 62. Und das hat natürlich konkrete Auswirkungen für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Bei den nächsten Vorstellungen von "Herkules am Thermodon" über Pfingsten benötigen sie, anders als bei der Premiere, tagesaktuelle negative Testergebnisse, wenn sie keinen Impfnachweis haben.

Herkules am Thermodon – Inszenierung in Passau | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Herkules als Motorradrocker, gespielt von Jeffrey Nardone. | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Und während Herkules als Motorradrocker in Lederklamotten versucht, gemeinsam mit seinen Biker-Kumpels die äußerst selbstbewussten, waffenbesitzenden Amazonen gefügig zu machen und ihrer Königin den Gürtel zu rauben, dreht sich vor und nach der Premiere alles um die Frage, was die Pandemie eigentlich mit dem Theater gemacht hat. Intendant Stefan Tilch gehörte nicht zu denen, die sich von der Politik missachtet fühlten: "Die Leute werden mich vielleicht nicht verstehen, aber wir haben gelernt, am Freitagnachmittag zu sagen: Schönes Wochenende! Das kannten wir nicht. Wir wissen jetzt, was das ist, man geht dann nach Hause und kommt am Montag wieder. Ist für uns neu! War gar nicht schlecht, muss ich sagen, und führt dazu, dass wir gegen Ende der Spielzeit nicht ganz so wie so sonst ausgepresst sind. Das ist auch interessant, weil es ein gewisses Bewusstsein dafür schafft, unter welchem dauernden Wahnsinnsdruck wir tatsächlich alle unser Leben leben."

Diese Barock-Oper war lange Zeit verschollen

Gleichwohl sind in Passau natürlich alle froh, mit einer Deutschen Erstaufführung das Publikum wieder begrüßen zu können. Antonio Vivaldis Herkules-Oper von 1723 war lange Zeit verschollen und wurde erst kürzlich rekonstruiert. Und das war die mühselige Arbeit auf jeden Fall wert, geht es doch um einen Geschlechterkampf, wie er aktueller nicht sein könnte: Macho-Männer gegen wehrhafte Frauen. Regisseur Urs Häberli zeigte seine Amazonen als Betreiberinnen einer Fahrradwerkstatt, die sich nebenbei auch ums Klima kümmern und nicht davor zurückschrecken, den schwer symbolträchtigen Fuchsschwänzen der Kerle mit Voodoo-Messerstichen jegliche Kraftreserven auszutreiben – ein schlüssiges Regiekonzept mit einer herrlich motivierten Sängerriege.

Herkules am Thermodon – Inszenierung in Passau | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Daniel Preis überzeugt in der Hosenrolle der "Alceste". | Bildquelle: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai Neben Jeffrey Nardone in der Titelrolle und Sabine Noack als Amazonen-Königin Antiope überzeugten vor allem Daniel Preis in der Hosenrolle der Alceste und Ewelina Osowka als Amazonen-Nachwuchs Martesia, die so ganz allmählich die Liebe lernt, die sie anfangs eher für Mord- und Totschlag hält, vor allem, als davon die Rede ist, dass Herzen "ausgetauscht" werden. Aber auch alle anderen Mitwirkenden waren staunenswert gut aufgelegt und bestens geprobt: Henrike Henoch als Ippolita, Reinhild Buchmayer als Teseo und Peter Tilch, der ganz am Ende neben Telamone auch noch der Göttin Diana seine Stimme leihen durfte – und sich dabei selbst "beweihräucherte".

Sendung: "Allegro" am 17. Mai 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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