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Im Interview - Andreas Brantelid und Christian Ihle Hadland "Er kann ganz schön stur sein!"

Cellist Andreas Brantelid und Pianist Christian Ihle Hadland sind am 4. April zu Gast im Studio 2 des BR-Funkhauses in München - im Rahmen der BR-KLASSIK Studiokonzerte. Auf dem Programm stehen Werke von Beethoven, Janáček und Mjaskowski. Ein Gespräch über die schwierige Probenarbeit für Beethoven und den tragischen Verlust von Individualität auf dem Schallplattenmarkt.

Bildquelle: Sussie Ahlburg

BR-KLASSIK: Sie lieben und spielen viel Kammermusik. Können Sie gegenseitig beschreiben, was das Spiel und die Persönlichkeit des anderen besonders bemerkenswert und unverwechselbar macht?

Christian Ihle Hadland: Andreas wirkt ja zuerst sehr freundlich und offen für alles. Aber wenn es zur Sache geht, kann er ganz schön stur sein. Er hat sehr genaue Vorstellungen. Das ist für viele wahrscheinlich überraschend; nicht die Tatsache, dass er eigene Ideen hat, sondern dass dieser so sympathisch wirkende junge Mann so entschlossen auftritt, wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen.

Andreas Brantelid: Dabei bist Du doch eher der Sturkopf (lacht)! Ich spiele jedenfalls sehr gerne mit Christian. Wir spielen schon seit zehn Jahren zusammen. Wir sind gleich alt und gewissermaßen miteinander groß geworden. Wir haben viele Duostücke für Cello und Klavier gespielt. Es macht uns Spaß, zusammenzuarbeiten. Wir sind bei vielen Festivals gemeinsam aufgetreten. Da gibt es oft nicht so viel Zeit für Proben. Aber das gefällt uns auch - einfach mal losspielen. Bei den Beethoven-Sonaten läuft das jetzt natürlich anders. Wir haben jeden Tag sehr intensiv geprobt. Ungefähr eine Woche lang. Das ist auch toll.

Christian Ihle Hadland: Es gibt eine Menge Stücke für Cello und Klavier, an die man sich völlig frisch und frei dranmachen kann - etwa an die Sonaten von Rachmaninow oder Schostakowitsch. Man fängt an zu spielen und arbeitet sich zunächst irgendwie vor. Aber bei Beethoven geht das nicht. Da muss man wirklich intensiv proben und auch bestimmte Entscheidungen treffen. Das hat uns sehr gut getan. Wir vertrauen sonst beide eher unserer spontanen Inspiration. Aber mit Beethoven funktioniert das nicht. Hier mussten wir uns wirklich hinsetzen und herausfinden, wie was funktioniert. Wir mussten verschiedene Tempi und Phrasierungen ausprobieren, aber auch klangliche Aspekte. Stellenweise ist es klar, wer die Hauptstimme spielt, dann wieder nicht so genau.

Wenn es zur Sache geht, kann Andreas ganz schön stur sein.
Christian Ihle Hadland

BR-KLASSIK: Mit Musik der Komponisten Edvard Grieg und Percy Grainger haben Sie vor zwei Jahren Ihre erste gemeinsame CD veröffentlicht. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Pianist Christian Ihle Hadland | Bildquelle: © Anders Bergersen Der Pianist Christian Ihle Hadland | Bildquelle: © Anders Bergersen Christian Ihle Hadland: Das war beim Risør Kammermusikfest in Süd-Norwegen. Damals haben wir in größeren Ensembleformationen zusammen gespielt, etwa im Dohnanyi-Sextett. Auch in den Folgejahren spielten wir Klaviertrios, Quartette und Quintette. Unsere ersten Solokonzerte fanden 2011/2012 statt. Dann erarbeiteten wir uns ziemlich bald das Repertoire von Grieg und Grainger, das wir auch aufgenommen haben. Ich fand es toll, dass wir  auf einer Konzerttournee fünf Konzerte  mit fünf unterschiedlichen Programmen spielen konnten. So haben wir inzwischen schon ein recht breit gefächertes und abwechslungsreiches Repertoire. Aber es gibt immer noch eine Menge Stücke, die wir bisher nicht gespielt haben.

BR-KLASSIK: Was ist denn Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung im Duospiel Cello-Klavier? Die Balance, das Zusammenkommen oder etwas ganz anderes?

Christian Ihle Hadland: Die Balance kann tatsächlich ein wenig tricky sein - das hängt vom Instrument ab. Aber Beethoven hilft einem ein bisschen.  In den frühen Beethoven-Sonaten spielt sich noch sehr viel in der Mittellage des Cellos ab. Da kann das Klavier das Cello schon mal zudecken. In den späteren Sonaten wird die Tonlage des Cellos höher und die vom Klavier tiefer. Dann geht es besser.

Andreas Brantelid: Die Beethoven-Sonaten wurden ja ursprünglich für ganz andere Instrumente komponiert. Das Cello hat sich in den letzten 200 Jahren stark verändert. Man spielte damals auf Darmsaiten. Vieles war anders. Natürlich gab es auch keine Steinway-Flügel wie heute. Man muss ein wirklich guter Pianist sein, um ein Forte zu spielen, das zwar wie ein Forte klingt, aber trotzdem nicht so laut sein darf wie auf einem modernen Flügel. Christian macht das super. Man hat nicht den Eindruck, als würde er sich zurücknehmen. Er spielt sehr ausdrucksstark, obwohl er mir im gemeinsamen Klangbild Raum lassen muss.

Christian Ihle Hadland: Dieser Aspekt des Zusammenfindens ist sehr interessant. Das hat sich nämlich über die Jahre stark verändert. Wahrscheinlich hängt das mit der Entwicklung der Tonträgerindustrie zusammen und dem damit einhergehenden Anspruch nach Präzision. Vor allem die ersten beiden Sonaten, die Beethoven im Alter von 25 Jahren komponierte, sind stark rhythmisch geprägt. Zum Beispiel in den ersten acht Takten der ersten Sonate spielen wir unisono. Da spürt man, dass beide Stimmen eins sind - und das ist ein gutes Gefühl.

Aber in der dritten Sonate aus Beethovens mittlerer Schaffensperiode geht es dann nicht mehr um Melodie und Begleitung. Mit Blick auf die Kammermusik der Wiener Klassik wird immer wieder von bestimmenden opernhaften Elementen gesprochen. Das ist schon ein Klischee, dass es zwei Stimmen gibt, die im Dialog miteinander stehen. In dieser dritten Beethoven-Sonate gibt es aber tatsächlich zwei Stimmen, sie sprechen aber nicht unbedingt über dasselbe Thema. Es sind für uns zwei individuelle Parts, die zwar harmonieren, sich aber nicht wechselseitig unterordnen lassen. Das kann im Zusammenspiel durchaus heikel werden, weil man sich dadurch etwas von der Idee entfernt, dass immer alles perfekt zusammen sein muss.

Es gibt so viel, was schiefgehen kann. Wenn es aber funktioniert, ist es genial..
 Christian Ihle Hadland über die Musik Beethovens

BR-KLASSIK: Wie erarbeiten Sie sich gemeinsam ein neues Stück, sei es eine Beethoven-Sonate oder eine Cellosonate von Mjaskowski?

Andreas Brantelid: Mit den Beethoven-Sonaten sind wir gewissermaßen aufgewachsen. Ich habe sie schon als Teenager gespielt, und Christian wahrscheinlich auch. Wir haben sie auch oft mit anderen gespielt. So hat jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht, bevor wir uns kennengelernt haben. Und das ist doch das Tolle am Musizieren: Jeder bringt seine eigene Sicht auf solche berühmten Stücke mit. Es klingt jetzt sicher wie ein Klischee, aber es ist wirklich immer wieder eine neue Erfahrung.

Christian Ihle Hadland: Wenn man zum Beispiel den Anfang von Beethovens erster Sonate in F-Dur in den Blick nimmt - ein langsames Adagio, das sich aus lauter kleinen Themen entwickelt, und diesen Beginn mit der Mjaskowski-Sonate vergleicht, dann klingt letztere schon etwas schwerfälliger. Bei Beethoven wird das Gehirn viel stärker gefordert, weil man einfach wahnsinnig viele Dinge gleichzeitig beachten muss. Mjaskowski wiederum ist eher ein schöner Spaziergang. Die Cellosonate von Mjaskowski beginnt mit diesen Arpeggio-Wellen in der Klavierstimme und diesen typisch russischen Melodien im Cello. Wenn man da richtig reinkommt, kommt man auch irgendwo an einem wunderschönen Ort wieder heraus. Bei Beethoven muss man sich dagegen richtig hineinknien. Es gibt so viel, was schiefgehen kann. Wenn es aber funktioniert, ist es genial. Beethoven ist ein musikalischer Detektiv, während es bei Mjaskowski um die Suche nach Schönheit und Stimmung geht. Es wäre respektlos, wenn ich sagen würde, es spielt sich von selbst. Aber es ist einfacher als Beethoven. Es gibt nicht so viele große Fragezeichen.

Andreas Brantelid: Aber wir wollen nicht, dass sich Beethoven beim Spielen kompliziert anhört.

Christian Ihle Hadland: Nein, natürlich nicht.

Andreas Brantelid: In der Cellostimme gibt es eigentlich gar nicht so viele Noten. Sie schaut sogar recht einfach aus. Vor allem in den ersten beiden Beethoven-Sonaten. Wir besprechen auch nicht im Vorfeld ganz genau, wie wir was spielen wollen. Man muss Beethoven einfach ganz anders spielen.

Christian Ihle Hadland: Wir beschließen nicht, welchen Akzent wir auf exakt welche Note legen werden. Oder dass an dieser Stelle ein Crescendo und an jener ein Diminuendo kommt. Das kann variieren. Aber wir legen den Weg fest. Auf diesem Weg kann natürlich viel geschehen, aber unsere Vorstellung der Interpretation ist die gleiche.

BR-KLASSIK: Andreas Brantelid, Sie kommen aus einem Musikerhaushalt. Ihr Vater ist Profi-Cellist im Orchester. Welche Rolle spielte Musik in Ihrem Elternhaus, Christian Ihle Hadland?

Christian Ihle Hadland: In meiner Familie haben einige Klavier gespielt, aber es gab keine professionellen Musiker. Mein Großvater hat sich sehr für Musik interessiert. Ich selber bin erst recht spät zum Klavier gekommen. Erst mit achteinhalb Jahren habe ich mit dem Klavierunterricht angefangen. Das war auch eher ein spontaner Entschluss. Aber auf einmal dachte ich, genau das will ich machen. Es gab keinerlei Druck von meinen Eltern. Es hat einfach nur Spaß gemacht. Ich habe auch immer selber entschieden, wie lange und welche Stücke ich spielen will. Ich glaube, das war ein großes Glück.

BR-KLASSIK: Inwiefern war das tägliche Üben für Sie als Kind und Heranwachsender ein Problem oder auch eine Belastung?

Andreas Brantelid | Bildquelle: Sussie Ahlburg Bildquelle: Sussie Ahlburg Andreas Brantelid: Bei mir lief es gerade andersherum. Als ich noch ganz klein war, habe ich mit meinem Vater jeden Tag eine Stunde lang geübt. Das war so abgemacht. Ich war aber ein ganz normaler Junge. Jeden Tag habe ich auf der Straße mit den anderen Kindern Fußball gespielt. Mein Vater hat dann immer das Fenster aufgemacht und rausgerufen: Andreas muss reinkommen und üben! Diese Aufforderung hat sich wie im Dominoeffekt weiter zu mir verbreitet. Nachdem wir dann eine Stunde geübt hatten, bin ich wieder hinaus und habe weitergespielt. Diese Stunde konzentriertes Üben wurde zur richtigen Routine. Als Teenager war ich sehr begeistert. Ich erinnere mich, dass ich eines Tages aus der Schule kam - ich war damals in der achten Klasse - und zu meinen Eltern sagte: Ich will jetzt nicht mehr zur Schule gehen, ich will Cello spielen. Ich dachte, dass ich das unbedingt tun müsste, um weiterzukommen.

Üben bedeutet für mich, eine technische Schwierigkeit zu bewältigen. Ansonsten ist es nur Spielen. Das war schon immer so.
Christian Ihle Hadland

BR-KLASSIK: Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Andreas Brantelid: Sie haben das respektiert, weil sie gemerkt haben, dass ich es ernst meinte. In diesem Alter ist auch der physische Aspekt des Übens wichtig, um zum Beispiel richtig intonieren oder die großen Cellokonzerte angehen zu können. Mit 13, 14, 15 hatte ich wirklich den ganz starken Wunsch, diese Werke gut spielen zu lernen. Für mich waren die anderen Fächer in der Schule damals nicht so wichtig. Das hatte Zeit, vieles konnte ich später lernen. Ich bin wirklich sehr froh, dass ich als Jugendlicher so viel Zeit damit verbracht habe, Cello zu üben. Jetzt habe ich drei Kinder. Ich übe immer noch sehr viel, aber es geht jetzt nicht mehr nur noch um das Cello.

Wenn man ein Konzert besucht, muss man mindestens eineinhalb Stunden lang ohne Handy auskommen. Und es ist großartig, dass Menschen noch immer in Konzerte gehen.
Andreas Brantelid

BR-KLASSIK: Klassische Musik kann man mittlerweile sehr einfach im Internet nutzen und finden, ohne ins Konzert zu gehen. Inwiefern hat das für Sie als Musiker Konsequenzen?

Andreas Brantelid: In gewisser Hinsicht ist es doch super, dass die Leute jederzeit jede Art von Musik finden können. Egal wo man sich gerade befindet. Die Gefahr dabei ist, dass Musik den gleichen Stellenwert bekommt wie alles andere, was man schnell im Internet machen kann. Wie Facebook oder Twitter. Dann wird Musik schnell zum beliebigen Konsumgut. Es scheint aber allgemein für viele immer schwerer zu werden, sich wirklich auf etwas zu konzentrieren, etwa ein anspruchsvolles Buch zu lesen oder ein ganzes klassisches Werk anzuhören - eine Mahler-Symphonie zum Beispiel. Wenn man ständig schnellen Input bekommt, wird das immer schwieriger. Das ist schade. Wenn man dagegen ein Konzert besucht, muss man mindestens eineinhalb Stunden lang ohne Handy auskommen. Und es ist großartig, dass Menschen noch immer in Konzerte gehen.

Christian Ihle Hadland: Rein statistisch gesehen gehen in Norwegen sogar immer mehr Leute in klassische Konzerte. Deshalb mache ich mir nicht so viel Sorgen. Außerdem glaube ich, dass die Menschen immer in ihre Lieblingsoper oder in ein Konzert mit ihren Lieblingswerken gehen werden. Ähnlich wie beim Fußball: Es ist immer noch spannender, ein Spiel live im Stadion zu sehen als daheim im Fernseher. Ich finde viel bedenklicher, dass aufgrund der zahlreich vorliegenden Einspielungen die Aufführungen tendenziell immer langweiliger werden. Alle klingen mehr oder weniger gleich. Die Tonträgerindustrie hat bis zu einem gewissen Grad jegliche Individualität abgetötet.

Andreas Brantelid: Und die Leute erwarten das auch. Das ist leider immer wieder so. Die Leute wünschen sich, dass das Tschaikowsky-Violinkonzert oder das Dvořák-Cellokonzert genauso klingt, wie auf ihren zehn oder 15 Aufnahmen im Regal. Das ist auch schade.

Beethovens Sonaten und Variationen sind ewige Schätze.
Christian Ihle Hadland

BR-KLASSIK: Ein Blick in die gemeinsame Zukunft: Verfolgen Sie den Beethoven-Schwerpunkt weiter oder ist eine Aufnahme geplant?

Christian Ihle Hadland: Wir versuchen, so oft wie möglich zu konzertieren. Beethoven aufzunehmen, wäre natürlich aufregender, weil man damit gegen Giganten anträte. Aber das müsste und sollte dennoch einmal passieren. Es schadet ja nicht. Man würde es sicherlich bereuen, wenn man es nicht einspielt. Ich könnte dieses Repertoire fünf Jahre lang jeden Abend spielen. Denn hier trifft das Klischee ganz bestimmt zu: man entdeckt jeden Abend etwas Neues. In jedem Konzert entdecken wir etwas, das wir vorher nicht für möglich gehalten hätten. Diese Sonaten und Variationen sind ewige Schätze.

Die Fragen stellte Meret Forster für BR-KLASSIK.

Konzert-Info

Dienstag, 4. April 2017, 20.05 Uhr
Studio 2 des Münchner Funkhauses

Ludwig van Beethoven:
Sieben Variationen über "Bei Männern, welche Liebe fühlen" Es-Dur, WoO 46
Zwölf Variationen über "Ein Mädchen oder Weibchen" F-Dur, op. 66
Leoš Janáček:
"Pohádka"
Nikolai Mjaskowski:
Cellosonate a-Moll, op. 81

Moderation BR-KLASSIK

Das Konzert wird live im Radio und via Videostream übertragen.

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