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Folkert Uhde zur Internationalen Orgelwoche Nürnberg 2017 "Man hört, das kommt aus einer anderen Welt"

Am 30. Juni beginnt die 66. Internationale Orgelwoche Nürnberg. Der künstlerische Leiter Folkert Uhde spricht über das Konzept des diesjährigen Festivals, über neue Wege der Programmgestaltung - und warum er von Musik berührt werden möchte.

Bildquelle: picture alliance / dpa / Jim Rakete

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Folkert Uhde, das Motto der diesjährigen Orgelwoche Nürnberg lautet - wenig überraschend: "Reformation" - also wird es um Luther gehen. Wie hebt man sich denn da ab in der momentanen Luther-Flut? Warum könnte einen Ihr Festival dennoch interessieren?

Folkert Uhde: Weil es tatsächlich gar nicht so viel um Luther geht. Wir haben ja zwei kleine Doppelpunkte eingefügt: Das Motto heißt also "re:format:ion". Im Fließtext ist zwar immer noch von Reformation die Rede, aber es geht eigentlich um etwas ganz anderes, denn wir haben uns gefragt, was denn eigentlich der Kern der Reformation ist. Und das ist natürlich das Neu-Denken von vermeintlich Bekanntem. Wir versuchen, das auf eine ganz eigene Weise zu deuten, indem wir uns viele Fragen stellen über die Zukunft des klassischen Konzerts ganz allgemein - über das, was eigentlich das Potenzial dieser so genannten geistlichen Musik sein könnte. Und wir beschäftigen uns natürlich auch mit Nürnberg; denn Nürnberg ist die erste große deutsche Stadt, die sich zur Reformation bekannt hat - sie war das Zentrum der Druckindustrie, und Luther sagte, sie sei das Auge und Ohr Deutschlands. Da liegt es natürlich nahe, dem in musikalischer Hinsicht ein bisschen nachzuspüren und mal hörbar zu machen, welche Musik Luther denn gekannt haben könnte, zu dieser Zeit in Nürnberg.

Mystische, dräuende Bilder

BR-KLASSIK: 2013 haben Sie zum ersten Mal die Leitung der ION übernommen, und damals sagten Sie schon zu meinem Kollegen im Interview, dass sie mehr Vielfalt in dieses Festival bringen wollen - also genau das, was Sie vorhin meinten mit dem "Re-Formieren": das Angebot öffnen und auch jüngere Publikumsschichten hinzugewinnen. Was ist denn daraus geworden: Wo findet der Nicht-Hardcore-Klassik-Fan etwas für sich im Programm der diesjährigen Internationalen Orgelwoche Nürnberg?

Konzertdesigner Folkert Uhde blickt durch eines seiner Kirchenmodelle | Bildquelle: © Anne Hornemann Folkert Uhde | Bildquelle: © Anne Hornemann Folkert Uhde: Wir haben zum Beispiel ein tolles Projekt von Sven Helbig, das ist ein Komponist und Produzent, der mit den Pet Shop Boys und Rammstein gearbeitet hat. Er hat einen a-cappella-Abend geplant - mit Chormusik und Live-Elektronik, die er selbst bedient. Das hat eine große Magie - neueste aktuelle Musik, aber nicht im eigentlichen, klassischen Sinn, wo viele an Zahnschmerzen denken, wenn sie den Begriff "Neue Musik" hören. Das ist eine sehr hörbare Musik, und man kann beim Hören in eine Art Sog geraten. Hinzu kommt, dass es auch eine Video-Ebene geben wird, für die der in der Pop-Welt bekannte isländische Video-Künstler Máni M. Sigfusson zuständig ist: Das sind ganz mystische, dräuende Bilder von in Slow Motion tobenden schwarz-weißen Wolken, von Lichtern, die sich aus diesen Wolken erheben. Das ist wirklich etwas Einzigartiges.

BR-KLASSIK: Und klappt das, dass Künstler, die in der Pop-Welt bekannt sind, auch ein anderes Publikum anlocken?

Folkert Uhde: Ich denke ja. Man kann schon sagen, dass die ION jetzt einen ganz anderen Stellenwert hat, diesbezüglich habe ich einiges Feedback erhalten. Wie man so schön sagt: Der Staub ist weggeblasen.

Das ist für mich eine der Hauptfragen, wenn wir Musik hören: Hat das mit meinem Leben zu tun?
Folkert Uhde

BR-KLASSIK: Ich finde, das kann man schon an der Homepage der ION sehen. Mir hat es Spaß gemacht, mich durch das Programm zu klicken. Schön finde ich die Idee der Labels, die Sie eingeführt haben. Da ist viel Nützliches und Pragmatisches zu finden, wie ein ABC-Symbol für gesprochenen Text, ein umgekippter Stuhl, der darauf hinweist, dass es keine Sitzplatz-Nummerierung gibt. Es gibt aber auch ein Herz mit einer Hand, und das zeigt an: Dieses Konzert könnte Emotionen wecken. Muss man davor denn warnen?

Folkert Uhde: Das ist für mich eine der Hauptfragen, wenn wir Musik hören, wenn wir in ein Konzert gehen: Hat das mit mir und meinem Leben zu tun? Und wenn das so ist, dann berührt es einen. Genau das meint dieses kleine Icon mit dem Herzchen: Es gerät etwas in Resonanz, und wenn dem nicht so ist, dann ist aus meiner Sicht etwas falsch. Ich hätte keinen Grund, auf ein Konzert zu gehen, wenn ich nicht in irgendeinem Sinn davon berührt würde.

Eine unsichtbare Hand

BR-KLASSIK: Das Label mit dem Herz und der Hand hat auch das Eröffnungskonzert mit dem Chor des BR am Freitagabend bekommen. Es gibt eine Messe von Wolfgang Rihm sowie Musik von Josquin und Schütz. Berührt Sie diese Musik emotional?

Folkert Uhde: Nicht immer, aber wenn man diese Musik so kombiniert, wie wir es tun, bin ich relativ sicher, dass es berührende Momente geben wird. Wir haben uns ja in diesem Konzert sehr der Tradition zugewandt; Luther selbst hat viele Choräle geschrieben, in denen er auf sehr alte Hymnen zurückgegriffen hat. Da entstehen manchmal ganz tolle Momente, wenn man so einen alten Hymnus hört, der unglaublich schlicht und archaisch ist - vertraut und gleichzeitig fremd. Man hört sofort: Das kommt aus einer anderen Welt. Wenn man das dann mit zeitgenössischer Musik kombiniert und auch noch den Raum bespielt, also ihn konkret mit einbezieht, dann kann das faszinierende Momente geben - wie eine unsichtbare Hand, von der man angefasst wird.

Die Fragen stellte Kathrin Hasselbeck für BR-KLASSIK.

Sendung: "Leporello" am 28. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Zum Festival

Die 66. Internationale Orgelwoche Nürnberg Musica Sacra beginnt am 30. Juli und geht bis zum 09. Juli.
Infos zu Programm und Vorverkaufgibt es auf der Homepage des Festivals.

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