Prekäre Arbeitsverhältnisse sind in künstlerischen Berufen keine Seltenheit. Der Verein "art but fair" will das ändern und zeigt in einer Studie die größten Missstände auf. Abhilfe könnte ein Kunst-Gütesiegel schaffen. Wie das funktionieren soll, verriet der Vorsitzende Johannes Maria Schatz im Interview mit BR-KLASSIK.
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BR-KLASSIK: Herr Schatz, wenn man in die Oper, in ein Konzert oder ein Ballett geht, hat man den Eindruck, dass es den Künstlern auf der Bühne ganz gut geht. Sie wirken meistens zufrieden mit ihrer Arbeit. Ist das ein Trugschluss?
Johannes Maria Schatz: Das ist in der Tat zu einem Großteil ein Trugschluss. Oft glauben Leute im Publikum, dass etwa die Sängerin der Violetta in der "Traviata“ nach der Vorstellung in ihren BMW steigt und auf ihre Finca nach Mallorca fliegt. In Wirklichkeit steigt sie in den Bus oder auf ihr Fahrrad und fährt nach Hause in ihre Ein- oder Zweizimmerwohnung.
BR-KLASSIK: Das klingt zunächst ernüchternd. Um den von Ihnen geschilderten Eindruck zu überprüfen haben Sie eine Studie durchgeführt mit dem Titel "Faire Arbeitsbedingungen in den Darstellenden Künsten und der Musik“. Was war das Ziel dieser Studie?
Johannes Maria Schatz: Es wurden drei Ziele damit verfolgt: Zum ersten war nachzuprüfen, ob die von uns behaupteten Missstände tatsächlich existierten, und wenn ja, in welchem Ausmaß. Zweitens wollten wir eruieren, welche Akteursgruppen überhaupt existieren, die Einfluss auf diese Missstände haben. Und last but not least wollten wir auch Instrumente herausarbeiten, mit deren Hilfe man diese Übel abbauen könnte.
Bei vielen Produktionen bekommen die Künstler die Proben nicht mehr bezahlt.
BR-KLASSIK: Es ist also eine rein monetäre Geschichte?
Johannes Maria Schatz: Nicht nur. Wir hatten zwar nach den Einkommensverhältnissen gefragt, aber auch nach den Arbeitsverhältnissen. Bei den größten Missständen, die sich laut der Studie ergeben haben, lag an erster Stelle die unsichere Beschäftigungssituation. Dazu muss man wissen, dass die Zahl der festangestellten Künstler deutschlandweit nahezu stagniert. Da tut sich nichts groß nach oben und nach unten. Umgekehrt steigen die Gastverträge für Künstler überproportional an. Künstler werden also immer nur ganz kurzfristig für ein oder zwei Produktionen engagiert und müssen sich dann wieder nach etwas Neuem umschauen. Das lastet natürlich auf den Künstlern. Damit hängt auch die drohende Altersarmut zusammen. Sie lag auf Platz zwei der größten Ungerechtigkeiten: Weil die meisten Künstler mittlerweile freischaffend tätig sind, müssen sie für ihre Rente selbst vorsorgen. Hier kommen wir zum Problem der niedrigen Gagen, in der Studie auf Platz drei: Die geringe Vergütung macht es natürlich sehr schwierig, auch noch Altersrücklagen zu bilden. Auf dem vierten Platz der größten Missstände stand die unbezahlte Leistungserbringung. Bei vielen Produktionen bekommen die Künstler mittlerweile die Proben nicht mehr bezahlt. Egal ob das die Oper, das Musical oder das Schauspiel ist: Die Künster probieren oft bis zu sechs Wochen am Stück - und werden dafür nicht mehr vergütet. Die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie und die schlechten Proben- und Aufführungsbedingungen - wie etwa kalte Probenräume oder die Nichteinhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen - standen an fünfter und sechster Stelle der Studie.
BR-KLASSIK: In der Studie ist zu lesen, dass es einige festangestellte Künstler gibt, die 35.000 Euro brutto im Jahr verdienen. Verglichen zu den Selbstständigen sei das noch gut, heißt es da. Trotzdem: Das ist doch eigentlich erstaunlich wenig.
Johannes Maria Schatz: Das Entscheidende an den Zahlen bezüglich der Gagen ist, dass 75 Prozent der Künstler angegeben haben, ein Netto-Jahresgehalt zwischen 10.000 und 20.000 Euro zu erhalten. Die restlichen 25 Prozent liegen darüber. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass all diese Künstler drei, vier oder fünf Jahre studiert haben, und trotzdem noch so wenig verdienen. Oft ist es so, das der Verwaltungsangestellte im Hinterhaus mehr bezahlt bekommt als der Solokünstler auf der Bühne. Hier muss sich einiges ändern. Es braucht wieder ein Gleichgewicht, das in den letzten Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
Oft bekommt der Verwaltungsangestellte im Hinterhaus mehr bezahlt als der Solokünstler auf der Bühne.
BR-KLASSIK: Sie haben nun vorgeschlagen, ein Gütesiegel einzuführen, nach dem "Fair-Trade“-Motto, eine Art "Kultur-TÜV“. Damit soll garantiert werden, dass Künstler faire Arbeitsbedingungen vorfinden. Wie kann das genau funktionieren?
Johannes Maria Schatz: In den letzten Jahren hatten wir zunächst den Versuch gestartet, mit freiwilligen Selbstverpflichtungen zu arbeiten. Die einzelnen Akteure innerhalb der Kunst- und Kulturszene sollten sich auf zehn goldene Regeln selbst verpflichten, die dann faire Arbeitsbedingungen bewirken sollten. Dies stieß aber auf keine große Resonanz. Die Studie hat auch ergeben, dass die meisten der Befragten einer freiwilligen Selbstverpflichtung misstrauen, da es niemand wirklich überprüfen kann. Deswegen wurde dem Gütesiegel mit großer Mehrheit der Vorzug gegeben. Unsere Initiative "art but fair“ wird in den nächsten Monaten daran arbeiten, inwiefern man ein derartiges Kunst-Gütesiegel nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit einführen kann. Das müsste von einem unabhängigen Institut eingeführt und auch überprüft werden. Kulturinstitutionen wie Theaterhäuser oder Festivals würden sich dann im Idealfall bemühen, dieses Gütesiegel zu bekommen. Im zweiten Schritt müsste dann von der Politik das Bekenntnis kommen, in Zukunft ausschließlich oder zumindest überwiegend nur noch Institutionen mit diesem Siegel zu fördern.
BR-Klassik: Und dann muss jeder einzelne Kulturfreund für sich überprüfen, was ihm die Kunst wert ist und entsprechend eben auch in die Tasche greifen - und der Künstler selbst sich auch überlegen, was bin ich mir eigentlich wert.
Johannes Maria Schatz: So ist es. Wir kennen solche Gütesiegel ja aus dem Nahrungsmittelbereich oder der Bekleidungsindustrie schon länger. Wir schauen darauf, dass unsere Nahrungsmittel vielleicht ein Bio-Siegel tragen oder dass das Fleisch, das wir kaufen, nicht aus der Massentierhaltung kommt, sondern im Zweifel von einer glücklichen Kuh auf der Alm. Das heißt, da sind wir es schon gewohnt, darauf zu schauen, dass es nicht nur auf das Endprodukt ankommt, sondern eben auch auf den Entstehungsprozess. Und wenn wir es schaffen, das Publikum dahingehend zu triggern, dass auch sie in Zukunft sagen, mir geht es nicht nur darum, was ich für einen Genuss hatte, wenn der Vorhang gefallen ist auf der Bühne, sondern eben auch darum, wie dieses Kunstprojekt entstanden ist, nämlich mit fairen Arbeitsbedingungen und angemessenen Gagen, dann haben wir ganz viel erreicht.
Das Gespräch führte Uta Sailer für BR-KLASSIK.