Klaus Maria Brandauer tritt als Sprecher in Felix Mendelssohns „Ein Sommernachtstraum“ auf. Was er an Musik bewundert und warum Schauspieler manchmal Angst vor ihr haben, das verrät er im Gespräch mit BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK: Klaus Maria Brandauer, in Shakespeares Sommernachtstraum geht es viel um Unbewusstes, um Triebe, um Dinge, die sich in der Nachtseite der menschlichen Psyche abspielen, und natürlich auch um Sex. Mendelssohn hat die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ mit 16 Jahren geschrieben und die Essenz des Stücks unglaublich gut getroffen. Hat die Musik einen direkteren Zugang zu unserem Unbewussten als die Sprache?
Klaus Maria Brandauer: Die Musik – das sage ich manchmal und werde immer wieder missverstanden – hat eine Chance zur ungeheuren Unverschämtheit. In der Musik kann gleichzeitig etwas wahr sein oder auch nicht. Wir wissen nie genau, woran wir sind. So ist es auch bei Shakespeare. Wir denken, es ist unglaublich dramatisch, dabei ist es sehr zum Lachen. Ich frage mich oft: „Warum kennt Shakespeare mich, warum kennt er uns so gut, mit allen unseren Unzulänglichkeiten? Warum kennt er das Leben so gut, warum hat er den Durchblick?“ Oft wird die Musik von Mendelssohn als eine Art Zuckerguss empfunden. Aber das ist überhaupt nicht wahr. Das ist genau die Beantwortung dessen, was Shakespeare geschrieben hat. Und es ist klar, dass das nur ein junger Hupfer so komponieren konnte. Vielleicht wäre es etwas anderes geworden, wenn er älter gewesen wäre. Es ist eine Sache für junge Leute. Das heißt nicht, dass man mit achtzig oder neunzig Jahren nicht auch noch jung sein kann. Aber es geht tatsächlich um Liebe und alles, was dazu gehört: der Sex, die Geburt und der Tod. Mehr kann man von einer künstlerischen Veranstaltung nicht erwarten
Diese Töne, diese Kraft! Man hat das Gefühl, es kommt ein wildes Tier daher.
BR-KLASSIK: Mittlerweile sind Sie schon ein richtiger Experte im Umgang mit Dirigenten. Sie haben schon viele solche Projekte gemacht. Erst vor kurzem waren Sie in München mit Zubin Mehta in den „Gurre-Liedern“ von Arnold Schönberg zu erleben. Welche Dirigenten haben Sie am meisten beeindruckt?
Klaus Maria Brandauer: Ich tue mich sehr schwer damit, das zu sagen. Ob nun der Herr Masur oder der Herr Prêtre, der Herr Abbado oder der Herr Mehta – ich könnte da angeberisch noch viele aufzählen.
BR-KLASSIK: Wie haben sie diese Persönlichkeiten erlebt? Haben Sie sich gesteuert gefühlt oder getragen?
Klaus Maria Brandauer: Getragen ja, dass ich gesteuert werde, habe ich nicht bemerkt. Sehr bemerkenswert war mein Debüt als Sprecher einer musikalischen Veranstaltung. Das war vor über dreißig Jahren in Florenz mit Zubin Mehta. Wir haben die „Gurre-Lieder“ gemacht. Ich habe mich sehr angestrengt und fand mich auch ganz annehmbar. Zubin kam zu mir in die Garderobe und sagte: „Ich gratuliere dir. Wir waren einmal zusammen!“ (lacht) Ich hoffe natürlich, dass das öfter der Fall war. Als Schauspieler, und das sagen mir auch meine Schüler, hat man eine ungeheure Angst vor der Musik. Diese Töne, diese Kraft! Man hat das Gefühl, es kommt ein wildes Tier daher. Dann kommen wir Schauspieler mit unseren Stimmen, die nicht so ausgebildet sind wie jene der Sänger. Dabei kann man im Zusammenspiel mit Musik alles machen: Etwa ganz leise, ganz direkt sein, überhaupt nicht pathetisch. Ich habe es übrigens unglaublich gerne, wenn ich das Gefühl habe, dass ein Sänger zu mir spricht. Dass ich nicht dauernd merke, dass die singen. Damit habe ich eher Schwierigkeiten. Und so finde ich es umgekehrt auch toll, wenn Schauspieler singen. Damit meine ich keinen Singsang, sondern dass sie aus ihrer eigenen Stimme etwas für sich gefunden haben, das anders trägt als nur die Worte, eine Übersetzung zum Hirn und zum Herzen der Menschen. Diese Verbindung finde ich toll. Denn dass ein Orchester mit einem Dirigenten musiziert, das ist klar. Aber ich möchte auch, dass sie mir eine Geschichte erzählen.
Wir Menschen sind doch grundverschieden!
BR-KLASSIK: Schauspieler haben ja etwas mehr Freiheit als Sänger, die sich nach dem Dirigenten richten müssen. Im Sprechtheater können Schauspieler das Tempo meist selbst bestimmen. Müssen nicht in diesem Punkt umgekehrt die Sänger neidisch sein?
Klaus Maria Brandauer: Es hängt zunächst vor allem damit zusammen, was man an Talent mitbekommen hat, um so etwas auszuüben. Wenn Sie „Tosca“ hören, zum Beispiel mit Renata Tebaldi, und im Vergleich dazu mit Maria Callas, die ich selbst noch im Theater erleben durfte, ist das ein sehr großer Unterschied. Obwohl die Wünsche und Sehnsüchte von uns allen ziemlich ähnlich sind, sind wir doch grundverschieden. Und auf diese Grundverschiedenheit sollten wir Wert legen, sowohl in unserem Leben wie in der Arbeit. Ein Bürgermeister ist nicht deshalb toll, weil er Bürgermeister ist. Das Amt des Bürgermeisters ist so toll, wie der Mensch, der das ausübt.
BR-KLASSIK: Wieviel Klaus Maria Brandauer steckt dann in den Texten von Shakespeare, die Sie uns vortragen? Und wie weit muss sich Klaus Maria Brandauer zurücknehmen und sagen: Ich bin nur das Medium, die Durchgangsstation?
Klaus Maria Brandauer: „Durchgangsstation“ würde ich nicht sagen. Ich würde die Arbeit der Menschen schon als etwas ansehen, worauf sie das eine oder andere Mal stolz sein können. Sie haben etwas gelernt und wollen etwas ausdrücken. Wir haben alle etwas Schöpferisches, und wir wollen das Schöpferische nicht nur den Künstlern überlassen. Ich bin es immer selbst. Je ehrlicher ein Mensch mit Herz und Hirn auf die anderen zugeht, umso besser finde ich es. So ist es auch in der Musik.
Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Ein Sommernachtstraum
Beethoven: Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Mendelssohn: „Ein Sommernachtstraum“ – Ouvertüre op. 21 und Schauspielmusik op. 61
Orchester der KlangVerwaltung
Chorgemeinschaft Neubeuern
Klaus Maria Brandauer, Sprecher
Susanne Bernhard, Sopran
Julia Faylenbogen, Mezzosopran
Enoch zu Guttenberg, Leitung
Montag, 09. Mai 2016, 20:00 Uhr
Philharmonie im Gasteig
Infos und Restkarten gibt es hier.