Im Juli dieses Jahres feierte Peter Ruzicka seinen 70. Geburtstag. Am 5. Oktober 2018 dirigiert er in der Konzertreihe der musica viva vier eigene Werke aus verschiedenen Lebensphasen. München ist für ihn schon als Jugendlicher ein wichtiger Ort für Neue Musik.
Bildquelle: Astrid Ackermann
BR-KLASSIK: Machen Sie sich was aus runden Geburtstagen?
Peter Ruzicka: In dem Fall ist es nun die Sieben in der Gleichung, die ich erreicht habe. Das hat mir doch ein wenig Sorgen gemacht. Das ist irgendwie eine Grenze, die man nicht so recht wahrhaben möchte, auch wenn sehr viele Pläne da sind und eigentlich bis zur Acht in der Gleichung ausreichen würden – wenn sie bis dahin realisiert sind.
BR-KLASSIK: Was Ihnen als Kulturmanager immer wieder begegnet, ist die Fixierung der öffentlichen Wahrnehmung auf solche runden Jubiläen. Das löst sicher Freude aus, wenn man überall eingeladen wird und viel Aufmerksamkeit bekommt. Auf der anderen Seite fragt man sich: Muss das eigentlich so sein? Müssen wir uns immer am 100. Geburtstag, am 200. Todestag, am 75. Geburtstag bestimmter Komponisten erinnern?
Peter Ruzicka: Es ergibt wenig Sinn. Wenn wir jetzt sehen, dass 2020 der große Beethoven-Geburtstag da ist und allen Ernstes Programme in großer Fülle erstellt werden, die um Beethoven kreisen – das, was sowieso jedes Jahr in Hülle und Fülle passiert, da halte ich es doch mit Mauricio Kagel, der sehr richtig bei einem der großen Beethoven-Geburtstage – das war 1970 – gesagt hat, man könnte ihn außerordentlich ehren, wenn man ihn im Jubiläumsjahr ganz aus dem Programm nähme – keinen Ton Beethoven.
BR-KLASSIK: Nun hören wir aber viele Töne Ruzicka im Jubiläumsjahr, Sie sind auch als Dirigent hier. In welchem Verhältnis stehen denn der Dirigent Ruzicka und der Komponist Ruzicka miteinander? Sind die Freunde?
Peter Ruzicka: Die sind eigentlich Freunde. Jedenfalls hat der Komponist sehr viel gelernt vom Dirigenten gleichen Namens, denn man erzieht sich doch sehr dazu, so genau wie möglich zu notieren um bei den Proben mit den Orchestern sofort starten zu können und nicht erst mit langen Erklärungen über das Material und bestimmte Eigenheiten der Notationen sprechen zu müssen. Insofern gab es da eine fruchtbare Wechselwirkung.
BR-KLASSIK: Auch insofern, als man dann merkt: okay, so funktioniert es nicht, ich muss es anders machen? Gustav Mahler hat ja seine Sinfonien eigentlich immer erst nach der Uraufführung in die endgültige Form gebracht, nachdem er sie dirigiert hatte und wusste, wie sie auf der Bühne funktionieren.
Wenn ein Komponist eine Partitur schreibt, kann er sich ehrlich gesagt zu 96 Prozent exakt vorstellen, wie die Musik klingen wird.
Peter Ruzicka: Ich glaube, sagen zu können, dass ich relativ wenig retuschieren musste nach Aufführungen. Es ist ja so: Wenn ein Komponist eine Partitur schreibt, kann er sich ehrlich gesagt zu 96 Prozent exakt vorstellen, wie die Musik klingen wird. Die restlichen vier Prozent - das ist etwas Besonderes, das ist eine Aura, wenn sich die Musik im Raum und in der Zeit entfaltet. Da gibt es gewisse Unsicherheiten und auch noch Überraschungen für einen Komponisten. Und das ist dann auch noch bei der siebzigsten Uraufführung ein spannender Prozess. So ist es mir auch gegangen bei dem Trompetenkonzert "loop", das wir hier einstudiert haben. Da ist man in dieser ersten Probe tatsächlich etwas nervös, weil man diese vier Prozent noch nicht voraussehen kann.
BR-KLASSIK: Mir hat Esa-Pekka Salonen mal erzählt, dass er Pierre Boulez ein Kompliment gemacht habe. Er hatte ein Werk von ihm bei der Uraufführung gehört und dann zehn Jahre später - beide Male dirigiert vom Komponisten. Und er sagte ihm: "Jetzt verstehe ich erst, wie genial ihr Werk eigentlich ist, Maestro." Und da sagte Boulez - wahrlich kein schlechter Dirigent: "Ja, jetzt kann ich es ja auch dirigieren."
Peter Ruzicka | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com Peter Ruzicka: Also mir ist es so gegangen, dass einige bedeutende Dirigenten etwas gelesen haben in der Partitur, das mir selbst gewissermaßen noch verborgen war. Sinopoli war so ein Fall, Kurt Masur war ein anderer Fall. Die haben Stücke unter ihre Fittiche genommen und realisiert, die vorher schon aufgeführt worden waren und ich war ganz erstaunt, dass sie bestimmte Dinge herauspräpariert haben, an die ich gar nicht so zentral gedacht habe. Vielleicht müssen die Stücke auch klüger sein als der Autor, sie müssen irgendwie einen Überschuss haben, den man erst entdecken kann.
BR-KLASSIK: Sie haben viel Erfahrung mit der musica viva, nicht nur als Komponist, der dort aufgeführt wird, sondern auch schon als junger begeisterter Zuhörer. Was war Ihr erstes Erlebnis hier in München?
Peter Ruzicka: Das geht sehr weit zurück noch in die Lebenszeit von Karl Amadeus Hartmann, wo ich als ganz junger Spund Konzerte gehört habe, da war ich so 15, 16 Jahre alt. Dann war ich einige Male selbst hier vertreten, auch in Abonnement-Konzerten, in meiner Biennale-Zeit konnte ich dann selbst programmgestalterisch mitwirken.
BR-KLASSIK: Stichwort "Abonnement-Konzerte" – wann ist es denn so weit, dass wir solche Sonderreihen nicht mehr brauchen? Oder ist es doch eigentlich besser so, dass es auf der einen Seite die musica viva gibt und auf der anderen Seite die Konzerte mit dem etablierten Repertoire?
Peter Ruzicka: Solange es möglich ist, Auftragswerke zu vergeben, auch das Neueste anzuvisieren, wichtige Werke nachzuspielen und ein volles Haus zu haben. Das ist ja doch eine Meisterleistung gerade auch von Winrich Hopp, der das so klug auch im Bereich Marketing und Vermittlung angeht. Ich sage ganz offen – ich habe ja meinen Schwerpunkt in Hamburg: ausverkaufte Häuser nur mit Neuer Musik würden wir dort nicht erreichen. Ich lasse jetzt für den Moment dieses Sonderbeispiel Elbphilharmonie beiseite, da geht es jetzt für einige Zeit. Aber zuvor war die Serie mit Neuer Musik dort eher eine Enklave in einem relativ kleinen Studio mit 35 Plätzen – und nicht mal die waren ausverkauft.
Sendung: "Leporello" am 5. Oktober 2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK