Stefan Temmingh ist einer der prominentesten Virtuosen auf der Blockflöte. Am 2. Juli gastiert er in Wolframs-Eschenbach. Im Interview spricht er über die Muskeln seines Instruments - und warum er sich über die Ehe für alle freut.
Bildquelle: Stefan Temmingh
Aktuelles Interview
Der Blockflötist Stefan Temmingh
BR-KLASSIK: Stefan Temmingh, ich möchte mit Ihnen über die Liebe sprechen. Denn ihr Konzert beim Fränkischen Sommer hat den Titel "Inspired by Love". Da werden Szenen der Liebe aus dem London des 18. Jahrhunderts gespielt - Musik von Corelli, Pepusch, Purcell, Händel und anderen. Wurde denn im 18. Jahrhundert anders geliebt als heute?
Stefan Temmingh: Wenn man heute eine moderne Oper anschauen würde, dann würde sich ein Regisseur ja nicht scheuen, einen richtigen Liebesakt auf der Bühne zu inszenieren. Und auch der Librettist würde das ganz genau deutlich machen. Aber im 18. Jahrhundert war das wesentlich anders. Man konnte einen Liebesakt nicht wirklich beim Namen nennen. Und dazu passt meine vorletzte CD. Das Thema nenne ich "Birds". Wir haben ein bisschen Birds-Musik in diesem Programm. Denn sobald im Graben die Blockflöte auftauchte und die Blockflöte so vogelartige Geräusche machte, so wie im "Rinaldo" von Händel, dann wusste man, auf der Bühne geht es jetzt nicht eigentlich um das Tier, sondern um das "Vögeln". Man hat damals natürlich nicht anders geliebt als heute. Die Liebe ändert sich, glaube ich, nie. Aber die Darstellungen in der Musik und auf der Bühne haben sich natürlich dramatisch verändert.
Die Blockflöte ist kein besonders leises Instrument.
BR-KLASSIK: Liebe auf der Blockflöte - wir haben eben vom "Vögeln" gehört. Die Blockflöte ist ja ein liebliches Instrument. Also laut spielen, leidenschaftlich spielen, da kiekst es schnell, dann quietscht es schnell. Gibt es denn diese leidenschaftliche Seite auf der Blockflöte auch?
Stefan Temmingh: Selbstverständlich! Ich würde mal sagen, die Blockflöte ist kein besonders leises Instrument. Es hängt natürlich davon ab, wer das in der Hand hat. Ich spielte schon mal Bachs Brandenburgische Konzert Nummer zwei - das ist ja für die absurde Besetzung Oboe, Blockflöte, Geige und Trompete - und wir hatten tatsächlich in der Probe das Problem, dass die Blockflöte etwas zu laut war im Vergleich zum Trompeter. Also, es hängt schon sehr viel davon ab, wer gerade spielt. Es ist nicht immer das liebliche Instrument.
BR-KLASSIK: Okay, jetzt müssen Sie mir verraten: Was machen Sie anders als die anderen Blockflötisten?
Stefan Temmingh | Bildquelle: © Harald Hoffmann Stefan Temmingh: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich bastele mir immer die romantische Geschichte zusammen, ob das stimmt, weiß ich nicht: Ich komme ja aus Südafrika und musste bis zu meinem 16. Lebensjahr auf einer Plastikblockflöte spielen, und ich habe das Ding mit absoluter Leidenschaft gespielt. Ich glaube, da ich so lange ein schlechteres Instrument hatte, habe ich mir vermutlich eine Technik angeeignet, mit der ich besonders laut spielen kann. Ob das jetzt bei mir lauter ist als bei anderen Kollegen? Ich würde auch sagen, im Profibereich spielen wir alle ziemlich laut. Warum ich besonders laut spielen kann, weiß ich nicht.
Es ist schon eine Partnerschaft, die einfach sein muss in meinem Leben.
BR-KLASSIK: Die Liebe zum Instrument klang da schon durch. War es eine Liebe auf den ersten Blick?
Stefan Temmingh: Absolut! Als Siebenjähriger habe ich in der Schule das Instrument in die Hand bekommen, wie jedes andere Kind auch in Südafrika. Und es hat mich total gereizt. Diese Liebe ist nie weggegangen.
BR-KLASSIK: Sie haben ja viele Blockflöten - so 20 bis 40. Gibt es da welche, die Sie besonders lieben?
Stefan Temmingh: Nein. Es gibt welche, die besondere Probleme haben. Beispielsweise habe ich vor kurzem die Vivaldi-Konzerte eingespielt. Und vier davon sind für die sogenannte Flautino. Das ist eine Sopranino-Blockflöte, die ein Daumenloch hat, das kleiner als ein halber Zentimeter ist. Und dieses Daumenloch genau halb zu treffen oder drei Viertel oder nur ein Viertel, das ist besonders schwierig und eine Herausforderung, die natürlich auch Spaß machen kann. Aber eine Sopranino-Blockflöte kann auf Dauer mehr frustrieren als eine Alt-Blockflöte.
BR-KLASSIK: Wie würden Sie denn generell ihre Beziehung zum Instrument bezeichnen? Ist es so etwas wie eine Partnerschaft? Es hat ja auch was Körperliches?
Stefan Temmingh: Auf jeden Fall! Vor zweieinhalb Wochen habe ich meine beiden Ellenbogen gebrochen und konnte dann zehn Tage nur Bass-Blockflöte spielen, weil das mit der Haltung im Gips am besten ging. Es fehlte mir total. Es ist schon eine Partnerschaft, die einfach sein muss in meinem Leben.
Damals war es mir wichtig, die Muskeln des Instruments zu zeigen
Bildquelle: Harald Hoffmann
BR-KLASSIK: Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass sie die Blockflöte als männlich empfinden. Warum?
Stefan Temmingh: Diese Aussage war eine Jugendsünde von mir. Mittlerweile würde ich sagen, die Blockflöte ist männlich und weiblich. Damals war es mir wichtig, die Muskeln des Instruments zu zeigen. Mittlerweile schätze ich zwar die Muskeln des Instruments und das große männliche Starke immer noch, doch versuche ich gleichzeitig auch das weibliche feine filigrane Instrument zu zeigen.
BR-KLASSIK: Geht es denn dann besonders gut zusammen mit einem Sopran? Sie musizieren mit der Sopranistin Dorothee Mields sowohl auf der "Birds"-CD, von der Sie vorhin sprachen, als auch beim Fränkischen Sommer das bevorstehende Programm.
Stefan Temmingh: Ja, wir arbeiten einfach wahnsinnig gerne zusammen. Wir lieben uns als Freunde und als Kollegen. In den Kantaten für Sopran und Blockflöte spiele ich auch beide Rollen - mal weiblich, mal männlich. Das hat jedoch mit der Besetzung weniger zu tun.
Ich habe das Glück, so auszusehen wie ich aussehe.
BR-KLASSIK: Ich habe noch einen Satz von Ihnen zu Liebe oder vielleicht eben eher zu Attraktivität, Sexualisierung. Sie haben mal in einem Interview davon gesprochen, dass Sie von der Sexualisierung des Klassikbetriebs genervt sind. Wie meinen Sie das?
Stefan Temmingh: Ja, wenn ich zum Beispiel mal so provokativ fragen kann: Gibt es zur Zeit männliche Geiger? Also, wenn man ganz schnell mal über die Geige nachdenkt, dann fallen einem viele jüngere Mädchen ein. Jedenfalls schauen sie wahnsinnig jung aus auf den Fotos und sie sind oft unglaublich schlank. Und man fragt sich, spielen auch körperlich opulente Frauen Geige? Und spielen überhaupt auch Männer Geige? Außer David Garrett …
BR-KLASSIK: Der ja auch durchaus sexualisiert dargestellt wird.
Stefan Temmingh: Das haben Sie jetzt gesagt! (lacht) Da fällt mir jetzt ein Name ein: Daniel Hope - er schaut ganz normal aus. Aber wenn man Leute auf der Straße fragt, dann fallen ihnen - bei allem Respekt für meine Kolleginnen - magersüchtige Frauen ein.
BR-KLASSIK: Wie geht es Ihnen, wenn Sie Album-Cover fotografieren?
Stefan Temmingh | Bildquelle: Stefan Temmingh Stefan Temmingh: Ich habe ja das Glück, so auszusehen wie ich aussehe. Ich finde es besonders lustig, wenn ich zu Festivals fahre, habe ich schon mehr als einmal gehört: "Sie schauen ja wirklich so aus!" Das sagen oft die Leute, die mich vom Bahnhof abholen. Ich erwidere dann immer: "Schauen meine Kollegen denn nicht so aus wie auf deren Fotos?" Also, ich mache einfach Fotos und versuche möglichst natürlich rüber zu kommen. Ich habe allerdings auch meinem Fotografen gesagt: "Wir sollten keine Fotos machen, die mich älter als meine 38 und vor allem nicht jünger als meine 38 machen. Ich möchte einfach so ausschauen wie ich ausschaue. Basta! Und ich muss leider sagen, dass mein am häufigsten geklicktes YouTube-Video eines ist, wo ein Spaß-Foto vorkommt, das ich in Kapstadt am Strand mit meinem Freund gemacht habe. Dort sieht man drei Zentimeter von meinem Bauch. Und irgendwie wird das am meisten angeklickt. Das ist leider so!
BR-KLASSIK: Das fällt jetzt ein bisschen aus dem musikalischen Rahmen, aber weil es politisch gerade diskutiert wird: Sie leben mit einem Mann zusammen. Im Moment sieht es so aus, als würde die Ehe für alle in Deutschland beschlossen werden. Was sagen Sie dazu?
Stefan Temmingh: Erstmal muss ich ein politisches Statement loswerden: Also, Frau Merkel ist immer wieder eine Überraschung! Ihre Meinung zu Flüchtlingen und die Liberalität, die mittlerweile in Ihrer Partei immer mehr in den Vordergrund gerückt wird, ist befreiend! Ich komme aus Südafrika, wo in meiner Kindheit genau das Gegenteil der Fall war, als Apartheid normal war. Und dann hatte 1994 die Apartheid ein Ende und es wurde sofort im Grundgesetz Homosexualität als völlig normal beschrieben. Eine moderne und wirklich weltweit angesehene Einstellung, bei der die Ehe für alle gar nicht mehr diskutiert wird. Ich finde es bis heute eigentlich traurig, dass wir erst am Freitag im Bundestag darüber abstimmen, zuvor wurde es sogar zig Male vertagt. Aber ich glaube, am Freitag wird es gut gehen. Und dann muss ich mit meinem Partner nicht mehr von einer "Verpartnerung" sprechen, sondern tatsächlich von einer Ehe.
Die Fragen stellte Kathrin Hasselbeck für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 30. Juli 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Sonntag, 2. Juli, 19.00 Uhr
Liebfrauenmünster in Wolframs-Eschenbach
"Inspired by Love"
Szenen der Liebe aus dem London des 18. Jahrhunderts
Werke von Arcangelo Corelli, Solomon Eccles, Georg Friedrich Händel, Frederick Nussen, Johann Christoph Pepusch, Henry Purcell
Dorothee Mields, Sopran
Stefan Temmingh, Blockflöte
Domen Marincic, Viola da Gamba, Violoncello
Wiebke Weidanz, Cembalo
Zum Programm des Fränkischen Sommers