Die Karriere der Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz geht derzeit steil nach oben – nicht erst sei dem sensationellen Erfolg ihrer "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen. Ihr Debüt erarbeitete sie in fast klösterlicher Abgeschiedenheit: Oper in den Zeiten von Corona. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht sie über Autorität, den langen Weg zur Geschlechtergerechtigkeit und die Festspiele als Labor – auch in Sachen Corona-Schutz.
BR-KLASSIK: Frau Mallwitz, als Sie am Morgen nach der Premiere die Kritiken gelesen haben, stießen Sie auf einen Superlativ nach dem andern. Wie ging es Ihnen beim Lesen dieser geballten Euphorie?
Ich muss gestehen, ich habe das noch nicht alles gelesen. Ich habe sogar versucht, das eher von mir fernzuhalten. Mein Mann hatte ein bisschen was überflogen und gesagt: Alles ist gut. Ich kann das alles noch nicht so richtig fassen. Allein, dass die Premiere mit solcher Freude und auch mit so einer Normalität im besten Sinne über die Bühne gegangen ist. Nach diesen letzten vier Monaten war das fast unwirklich. Aber unter Adrenalin zeigt sich eben, wie man vorher gearbeitet hat: wo man sich verabredet hat, da findet man sich wieder. Und das war in dieser Produktion ein absoluter Glücksfall, weil wir vorher so unglaublich konzentriert arbeiten konnten. Wir alle haben uns hier quasi in einen eigenen kleinen Lockdown begeben…
BR-KLASSIK: Klingt fast wie eine klösterliche Gemeinschaft.
Ja, man hat vermieden, Leute außerhalb des Teams zu treffen. Wir sind abends auch nicht in Restaurants gegangen. Wir waren sehr vorsichtig. So haben die äußeren Umstände gespiegelt, wie man innerlich arbeitet: sich vollkommen zu fokussieren auf die Produktion. So kann man Mozart erarbeiten, so funktioniert das.
Wir haben uns in einen eigenen Lockdown begeben. Es war eine innere und äußere Klausur sozusagen.
BR-KLASSIK: Verrückt, dass Sie das gerade in dieser Situation sagen, durch das Virus war es doch eigentlich so schwierig wie noch nie. Ein Glücksfall offenbar, der aber auch unglaublich viel Mut erfordert. Alle Beteiligten werden ja ständig getestet…
Ja, sogar 20 Minuten nach der Premiere wurde ich getestet. Wenn es etwas gibt, was einen wieder runterbringen kann, dann das. Alle wissen, dass es an jedem einzelnen von uns liegt. Ich habe große Bewunderung dafür, wie die Salzburger Festspiele damit umgehen. Allein die Organisation und Planung des Sicherheitskonzepts und die Durchsetzung jeden Tag – alle sind mit Herzblut dabei und tun das Menschenmögliche. Man wünscht sich so sehr, dass alles gut geht und wir für die Zukunft Mut fassen können, wieder zu spielen.
BR-KLASSIK: Sie sehen diese Festspiele in Corona-Zeiten also auch als ein Modell, vielleicht als eine Art Labor?
BR-KLASSIK: Ein anderes Thema, bei dem Sie wahrscheinlich - verständlicherweise - die Augen verdrehen: Sie sind die erste Frau, die hier in Salzburg eine Premiere leiten durfte. Sie sind da pragmatisch und sagen, das Geschlecht sei völlig egal. Der Musikbetrieb tickt leider anders: Es gibt kaum einen anderen Beruf, in dem Frauen so unterrepräsentiert sind. Muss da jede ihren eigenen Weg finden, oder gilt es da - auch mit diesem Erfolg im Rücken - gemeinsam zu kämpfen?
Ich würde nicht sagen, dass es meine Aufgabe ist zu kämpfen. Oder zumindest konnte ich das nie. Trotzdem hat es irgendwie funktioniert. Meine Aufgabe ist einfach, meinen Job zu machen. Nicht zu sagen, "schaut mal!", sondern es so gut zu machen, dass jeder sehen kann, der hinsehen will: Es kann etwas Schönes entstehen, egal ob ein Mann oder eine Frau da vorne steht. Natürlich wünsche ich mir, dass das in den nächsten Jahren noch viel selbstverständlicher wird. In dieser Diskussion gibt es eine Riesendiskrepanz. In dem Moment, wo ich aufs Podium steige und mit der Probe anfange, spielt es absolut keine Rolle. Da geht es nur um Qualität und Authentizität. Also, wir sind da auf einem Weg, aber noch lange nicht angekommen, das merkt man allein schon daran, dass man eben darauf angesprochen wird.
Ich bin immer wieder überrascht, wo man überall die erste Frau sein kann. An sich ist das ja kein Verdienst.
BR-KLASSIK: Sollte man eine Zeit lang in diesem Beruf bei gleicher Begabung jungen Frauen den Vorzug geben? Sie müssen ja seit einiger Zeit selbst wichtige Personalentscheidungen treffen.
Es ist schwer genug, wirklich gute Leute zu finden - als Assistenten, Korrepetitoren oder auch Dirigenten. Wenn ich einen finde, und das ist ohnehin schwierig, dann nehme ich den oder die. Interessant ist ja auch die Frage, was man so einem jungen Kollegen oder einer jungen Kollegin raten soll. Mich haben die meisten, die mich kannten und die mir Gutes wollten, eher gewarnt. Nicht weil ich eine Frau bin, sondern weil sie dachten, dass ich vielleicht nicht der Typ dafür bin. Ich bin durchaus sensibel. Ich werde rot, wenn mir etwas peinlich ist. Ich kann keine Schau machen, ich kann mich nicht verstellen, ich kann nicht die Ellenbogen ausfahren. Und deshalb hatten viele Leute das Gefühl, dass das vielleicht nicht der richtige Beruf für mich ist. Da fielen dann immer die Stichworte "Haifischbecken" und "Löwengrube". Deshalb würde ich etwas überspitzt sagen: Wenn ein junger Mensch dafür brennt und das unbedingt machen möchte und man ihm sagt: tu’s lieber nicht - und er tut es trotzdem: Dann ist er am richtigen Platz. Oder sie.
BR-KLASSIK: Lassen Sie uns über Autorität sprechen. Es sind schon viele Dirigenten, die alles über die Partitur wussten und auch eine ordentliche Zeichensprache hatten, von Musikern in Spitzenorchestern nicht ernst genommen worden. Was muss man denn neben einer guten Vorbereitung noch mitbringen?
Es ist eben harte Arbeit. Aber in dem Moment, in dem ich eine Vorstellung oder ein Konzert beginne, bin ich frei.
BR-KLASSIK: In der Arbeit fühlen Sie sich wirklich frei?
Ja, jedenfalls während der Vorstellung. Es ist wirklich genau dieser Augenblick, wenn ich aufs Podium steige. Nach dem Hereinkommen, dem Verbeugen, dem Applaus, wenn man diese Energie des Publikums spürt, die einen ja fast überfordert – wenn man das alles sozusagen wegschaltet und dann den ersten Atem, den ersten Einsatz gibt – in dem Moment fällt alles von mir ab. Dann ist man nur noch im Augenblick. Dann kann man ja auch nicht darüber nachdenken. Ich finde immer sehr gut, wenn man einen Plan hat. Vorher. Aber man muss ihn auch wieder vergessen können, im Moment des Konzerts oder der Vorstellung. Und das ist Freiheit. Das ist wirklich absolute Freiheit.
Sendung: Meine Musik am 8. August 2020 um 11.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Samstag, 15. August, 19:30 Uhr auf BR-KLASSIK
Festspielzeit: "Così fan tutte" von Wolfgang Amadeus Mozart
Joana Mallwitz dirigiert die Wiener Philharmoniker und u.a. Elsa Dreisig als Fiordiligi, Johannes Martin Kränzle als Don Alfonso und Andrè Schuen als Guglielmo.