Ja, sie war, wie sie war – unzähmbar! Ein Tier, wie sie selbst sagte, nicht zu bändigen. Die Muse von Saint-Germain-des-Prés, so der Titel einer ihrer Schallplatten, galt als Skandal im Nachkriegs-Paris. Ihr ganzes langes Künstlerleben sollte sie dieser Ruf begleiten. Und vorm Sterben habe sie keine Angst, sagte sie einst – nur davor, nicht mehr singen zu können. Nun ist die große Künstlerin am 23. September 2020 im Alter von 93 Jahren verstorben.
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Es gab aber auch die andere Seite der Juliette Gréco – die nicht erwünschte Zweitgeborene, die bei ihrer Mutter vergebens um Liebe und Zuneigung bettelte, die schüchterne junge Frau, die kaum sprach, lieber beobachtete, alles um sich herum aufsaugte und verarbeitete. Früh begann sie, den Sinn der Worte in Ideen zu verwandeln, mit dem Körper auszudrücken. Juliette war schon früh die Pantomimin der Worte.
Am 24. September um 23:05 Uhr erinnert BR-KLASSIK mit einer Jazz-Hommage an die Lichtgestalt in Schwarz: Eine Sonderausgabe der "Jazztime" zum Tode von Juliette Gréco, der Muse von Saint-Germain-des-Prés, die der Jazzwelt sehr verbunden war. Mit Musik von Juliette Gréco, Miles Davis, Jacky Terrasson, Boris Vian, Sidney Bechet und anderen. Eine Sendung von und mit Roland Spiegel.
Aufgewachsen vor dem Krieg in einem großbürgerlichen Herrenhaus in Bordeaux, in der behüteten Obhut ihrer Großeltern, zeitweilig auch bei Nonnen, träumte Gréco nach dem Krieg davon, nach Paris zu gehen und Schauspielerin zu werden. Paris – die Sehnsuchtsstadt der Nachkriegszeit. Hier riecht es nach grenzenloser Freiheit, hier, am linken Seineufer, schlägt das Herz der Künstler, Philosophen und Intellektuellen. Und hier waren sie alle: Von Jean-Paul Satre bis Serge Gainsbourg, von Camus bis Jacques Brel, von Jacques Prévert bis Miles Davis oder Charlie Parker. Und sie alle ließen sich von Juliettes Aura betören. Der Aura dieser kleinen Frau ganz in Schwarz gehüllt, mit den geliehenen schwarzen umgekrempelten Hosen und dem schwarzen Pulli. Der Mythos der Muse von Saint-Germain-des-Prés war geboren – ihr Stil zum Symbol des Existentialismus.
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Juliette Gréco in Rom 1957
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Juliette Gréco: Die Wurzeln des Himmels 1958
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Juliette Gréco: Whirlpool, 1959
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Juliette Gréco 1960
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Juliette Gréco: Crack in the mirror 1960
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Juliette Gréco am Theater Edouard VII in Paris im Februar 1964.
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Juliette Gréco 1964
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Juliette Gréco um 1970
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Juliette Gréco um 1970
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Juliette Gréco 1980
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Juliette Gréco in Amsterdam am 20. September 2015.
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Grécos Universitäten in Paris hießen "Deux Magots" und das "Flore" – die beiden zentralen Kneipen der Stadt, der intellektuelle Treffpunkt im Nachkriegs-Paris schlechthin. Hier tauchte sie, die sich als Gelegenheits-Schauspielerin anfangs ihr karges Einkommen verdiente, Abend für Abend ein. Hier verlieh ihr Jean-Paul Sartre die künstlerischen Flügel, die sie zum Olymp tragen sollten, und bald schon ins Pariser "Olympia"; bald darauf flog sie auf ihnen in die ganze Welt. Sartre ist es, der die junge Schauspielerin zum Gesang verführte. Es war die Geburt einer der größten Chanson-Interpretinnen des 20. Jahrhunderts. Und daran haben auch ihre Ausflüge in den Film nichts geändert.
Juliette Grécos Aufstieg zur Ikone war daraufhin nicht mehr aufzuhalten. Die Gréco – unabhängig, angstfrei, politisch – interpretierte, nein: lebte und durchlebte mit ihrer dunkel timbrierten Stimme jedes einzelne Chanson. Nie sang sie dabei eigene Texte, immer nur die Anderer: revolutionäre, provozierende, bissige, sinnliche, erotische, auch sexuell anzügliche. Aber immer tauchte sie tief in die Geheimnisse der Texte ein, malte deren Bedeutungen mit ihren Händen in die Luft und verbarg sich als Person vollkommen hinter dem Schwarz ihrer langen Etuikleider. Die Farbe schwarz: ihr Schutzwall, hinter dem das Innerste der Gréco, das kleine, verletzliche Kind Juliette, das sie zeitlebens geblieben ist, verschwand. Nichts sollte von den Worten ablenken – nichts und niemand in das Innerste der Gréco hineinschauen können.
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JULIETTE GRECO :: Non Monsieur Je n'ai pas 20 ans
Sie habe keine Angst vor dem Sterben, sagte sie in einem Interview im Jahr 2015 anlässlich einer ausgedehnten, umjubelten Abschiedstournee – nur davor, nicht mehr singen zu können. Wie arg muss es ihr gewesen sein, als sie dann kurz vor ihrem 90. Geburtstag ein Konzert im Züricher Opernhaus aus gesundheitlichen Gründen ersatzlos absagen musste. Doch auch nach ihrem Tod gibt die Gréco ihr magisches Schwarz ihren Fans quasi als Tafel, um darauf Wünsche und Träume zu schreiben ...
Sendung: "Allegro" und "Leporello" am 24. September 2020 auf BR-KLASSIK