Mit der Saison 2018/19 wird Kahchun Wong neuer Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker. Im Gespräch mit BR-KLASSIK erzählt der 30-Jährige über seine erste Probe mit dem Orchester, über seine Mentoren und welche Komponisten ihm wichtig sind.
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BR-KLASSIK: Kahchun Wong, in einem Interview vor ungefähr zwei Jahren in Singapur sagten Sie, dass Sie einen Traum haben - einmal in Deutschland arbeiten zu können, einmal in Deutschland oder Europa ein eigenes Orchester haben zu können, und dann mit diesem Orchester fünf oder zehn Jahre kontinuierlich zu arbeiten, um sich selbst zu einem exzellenten Dirigenten weiterentwickeln zu können. Jetzt ist der Traum wahr geworden. Was geht jetzt als neuer Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker in Ihrem Kopf vor?
Kahchun Wong: Ich muss ehrlich sagen, dass das alles für mich wie ein wunderbarer Traum ist. Ich bin so glücklich, dass er sich erfüllt hat und dass er sich so schnell, in so kurzer Zeit erfüllt hat. Ich war erst im vergangenen Jahr beim Dirigierwettbewerb "The Mahler Competition" der Bamberger Symphoniker und im Oktober hatte ich die fantastische Gelegenheit, mit den Nürnberger Symphonikern zusammenzuarbeiten. Von der ersten Probe an gab es so etwas wie eine besondere elektrische Energie zwischen uns, und das Konzert war meiner Meinung nach eines der erfüllendsten, das ich je hatte. Schließlich kam Lucius A. Hemmer, der das Orchester in seiner Ära als Intendant sehr stark geprägt hat, auf mich zu. Es ist einfach großartig, dass ich nun diese neue Reise mit einem solch wundervollen Orchester antreten kann.
BR-KLASSIK: Sie leiten bereits ein Orchester in Ihrer Heimat Singapur: das Asian Contemporary Ensemble. Das heißt, Sie haben bereits Erfahrung, mit einem Orchester fest zusammenzuarbeiten. Was nehmen Sie aus dieser ersten Erfahrung als künstlerischer Leiter mit nach Nürnberg?
Kahchun Wong: Ich habe das Asian Contemporary Ensemble vor drei Jahren mit aufgebaut. Wir sind nur wenige Organisatoren, vielleicht fünf, sechs oder sieben - aber was das besondere ist: Dadurch musste ich viele Dinge selbst erledigen. Wir planen alles selbst, von den künstlerischen Inhalten über die Engagements der Musiker, die Buchung der Säle bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Design der Website und Ticketverkauf. Also alle diese Dinge musste ich machen, was rückblickend sehr hilfreich war, denn jetzt weiß ich, welch große organisatorische Arbeit dahinter steckt. Ich denke also, ich bin perfekt auf die Zusammenarbeit mit der Orchesterleitung und der Verwaltung vorbereitet, um nun hier innerhalb unserer Rahmenbedingungen etwas Einzigartiges entstehen zu lassen, aber auch um den Rahmen vielleicht noch etwas zu erweitern.
BR-KLASSIK: Sie haben erzählt, dass Sie das Orchester ja schon im Oktober letzten Jahres dirigiert haben. Wo sehen Sie die Stärken der Nürnberger Symphoniker? Was hat Sie auch bewogen, sich als Chefdirigent zu bewerben, und woran wollen Sie feilen?
Kahchun Wong: Dieses Orchester hat eine Seele. Und zwar eine Seele, die die Musik erforschen will. Das ist etwas Besonderes. In der Pause kommen manchmal Musiker zu mir und fragen: Könnten wir das eine oder andere nicht vielleicht so machen? Was denken Sie? Und wir diskutieren dann und haben viel freundlichen, gegenseitigen Austausch. Es ist ja auch ganz und gar nicht mein Stil, mich auf das Podium zu stellen und mich in den Vordergrund zu drängen. Ich genieße es, wenn man bei der Orchesterarbeit alles miteinander teilt. Dann ist der Dirigent eine Art Bewahrer der Einheit, der alle zusammenbringt, und von dem aber auch die Energie ausgeht, die dann die anderen reflektieren. Da kommt es dann zu diesem stetigem Fluss von Energie und Geist, und dann können wir musizieren. Das ist ja ein besonderes Wort, das es im Englischen gar nicht gibt. Es bedeutet, Musik zu machen, aber gleichzeitig auch, ganz in der Musik zu sein.
BR-KLASSIK: Welches Repertoire werden Sie mit den Nürnberger Symphonikern entwickeln, wo werden Ihre Schwerpunkte liegen?
Kahchun Wong: Natürlich liebe ich ganz besonders die Symphonien von Gustav Mahler, aber auch das traditionelle deutsche Repertoire: Brahms, Wagner, Bruckner. Darüber hinaus gibt es zwei Dinge, die mir besonders wichtig sind: zum einen musikpädagogische Arbeit. Ds ist etwas, was ich gerne mit dem Orchester machen würde, dass wir auf diese Weise mit den Menschen in der Stadt und speziell mit den jungen Leuten verbunden sind. Und wenn ich junge Leute sage, meine ich auch schon Kindergartenkinder. Das ist ein Traum von mir. Außerdem wollen wir uns für zeitgenössische Komponisten einsetzen. Ich habe mir angesehen, was das Orchester in der letzten Zeit gemacht hat, und das ist ja beachtlich. Ich denke, es wird mir sehr leicht fallen, in dieser Tradition weiter zu machen. Mir liegen auch Komponisten aus Südostasien, Singapur und China am Herzen, aber auch aus Südamerika, und jüngst habe ich auch einige interessante Komponisten aus Russland und aus der Ukraine entdeckt. Es ist sehr aufregend, daran zu denken, was wir alles spielen können. Aber Neue Musik geht auf jeden Fall gut Hand in Hand mit Mahler und dem ganzen anderen großen deutschen Repertoire.
BR-KLASSIK: Sie haben im letzten Jahr den Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb in Bamberg gewonnen. Sie hatten auch ganz wichtige Mentoren in Ihrer Karriere: Kurt Masur, Bernard Haitink oder auch Esa-Pekka Salonen. Was hat Ihnen speziell Kurt Masur auf Ihrem künstlerischen Weg mitgegeben?
Kahchun Wong: Ein Dirigent zu sein, beinhaltet so viel. Man steht vor so vielen Leuten und muss so viele Informationen geben. Aber was ich von Kurt Masur gelernt habe, das ist die Liebe zur Musik. So einfach ist das.
BR-KLASSIK: Sie werden Ihre Position in Nürnberg 2018 beginnen. Werden Sie Ihren Lebensmittelpunkt auch nach Nürnberg verlagern?
Kahchun Wong: Für mich ist es besonders wichtig, dass der Chefdirigent sehr stark in die Orchestergemeinschaft eingebunden ist. In den nächsten Tagen möchte ich auf jeden Fall erkunden, ob ich hier eine schöne Wohnung finde, um hier zu leben. Nicht die ganze Zeit natürlich, aber so oft wie möglich. Also vielleicht laufen wir uns tatsächlich mal bei Lidl oder Netto über den Weg. Und ich glaube, in Nürnberg, im Herzen Bayerns zu sein, gibt mir die Gelegenheit, meinen Traum in diesem Teil der Welt zu verwirklichen.
Das Interview führte Ursula Adamski-Störmer für BR-KLASSIK. Übersetzung aus dem Englischen: Klaus Meyer und Wolfgang Schicker.