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Kommentar – Anna Netrebko und Putins Krieg Lasst Netrebko wieder singen! Das kann sie besser

Eine Sängerin zwischen den Fronten: Im Westen wurde Anna Netrebko ausgeladen, weil sie zwar den Krieg, aber nicht Putin verurteilen wollte. Es hagelte Absagen, eine Traumkarriere schien zerstört. Nun hat Netrebko sich anders entschieden. Gegen Putin, für den Westen. Prompt wird sie in Russland ausgeladen. An der New Yorker Met darf sie trotzdem nicht singen. Das ist falsch, meint Bernhard Neuhoff.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Nein, Anna Netrebko ist keine tragische Figur. Und nein, Anna Netrebko ist weder besonders klug, noch hat sie einen zuverlässigen moralischen Kompass. Dass sie sich 2008 in schönster Sowjet-Tradition zur "Volkskünstlerin der Russischen Föderation" küren ließ, wird man ihr kaum vorwerfen können.

Anna Netrebko rief zur Wahl Putins auf

Aber 2012 rief sie öffentlich dazu auf, Putin zu wählen. Und 2014, als Putins Soldaten die Krim besetzten, reiste sie aus ihrer zweiten Heimat Österreich nach St. Petersburg und ließ sich dort zusammen mit dem pro-russischen Separatistenführer Oleh Zarjow mit der sogenannten "Neurussland-Fahne" fotografieren. Eine Propaganda-Aktion, von der sie sich nie distanziert hat.

Netrebko machte Werbung für die Zerstörung der Ukraine

Netrebko kann sich winden, wie sie will: 2014 hat sie freiwillig Werbung für die Zerstörung des ukrainischen Staates gemacht. In ihrem ersten Statement zum Krieg behauptete sie dreist, sie sei "kein Political Animal". Das war offensichtlich unwahr. Netrebkos Unterstützung für die Separatisten war hochpolitisch, was denn sonst. Niemand hat sie gezwungen, Pressefotos mit Separatisten zu machen. Politischer kann eine Künstlerin kaum handeln.

Geradezu abstoßend war dann ein weiteres Statement zum Krieg auf Instagram, in dem Netrebko ihre Kritiker im Westen als, Zitat: "Human Shit" bezeichnete. Wer sie auffordere, sich von Putin zu distanzieren, der sei genauso "böse wie blinde Aggressoren". Dieses weinerlich-aggressive Selbstmitleid war angesichts des realen Bombenterrors schwer zu ertragen.

Netrebkos Rolle rückwärts

Im Westen schwammen ihr die Felle davon. Sie verlor Agentur und Label, Auftritte wurden abgesagt. Und auf einmal, oh Wunder, kommt plötzlich doch noch eine Distanzierung von Putin. Natürlich wieder garniert mit der Behauptung, sie sei ja ach so unpolitisch: weder Parteimitglied noch, Zitat, "mit irgendeinem Führer Russlands verbunden". Das ist begrüßenswert, aber nicht ganz korrekt.

Natürlich war sie mit Putin verbunden, sie hat ihn schließlich im Wahlkampf unterstützt. Trotzdem. Dieses Statement sollte den Theaterintendanten im Westen genügen. Denn Netrebko hat endlich eingesehen, dass sie sich angesichts ihres bisherigen Verhaltens entscheiden muss.

Jetzt wird Netrebko in Russland ausgeladen

Und in Russland reagieren sie prompt: In Nowosibirsk wurde sie ausgeladen. Und zwar mit nationalistischem Schaum vor dem Mund: Netrebko sei quasi eine Vaterlandsverräterin. Die "Idole von gestern" würden "durch andere ersetzt, die eine klare staatsbürgerliche Haltung haben." Netrebko hat sich also nachhaltig zwischen die Stühle gesetzt. Eine tragische Figur ist sie deshalb noch lange nicht. Sie wird schlicht mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert.

Im Westen gibt es derweil zahlreiche Stimmen, die diese folgerichtigen Konsequenzen als vermeintliche "Gesinnungsprüfung" beklagen. Russischen Künstlern werde ein "Redezwang" auferlegt. Das ist im Fall Netrebko unsinnig, denn sie hat ja früher freiwillig geredet – für Putin. Deshalb war es völlig korrekt, wie mit ihr umgegangen wurde. Aber deshalb sollten westliche Institutionen auch jetzt konsequent sein.

Netrebko hat ihre Unterstützung für Putin beendet

Putins Krieg ist ein Verbrechen. Netrebko hat, zwar halbherzig, aber mit unzweideutigen Folgen, ihre bisherige Unterstützung für Putin beendet. Man darf und muss sie weiter für ihre unausgegorenen Statements kritisieren. Doch es wäre unangemessen, sie weiterhin von den Bühnen zu verbannen. Die Fronten haben sich geklärt. Anspruch auf Mitleid hat Netrebko nicht. Aber auf Fairness. Eine Sängerin darf politisch wirres Zeug reden und trotzdem ihre Kunst ausüben. Sie muss allerdings ein Minimum an Respekt vor dem Recht zeigen. Das zumindest hat sie getan. Netrebko hat geredet. Jetzt lasst sie singen. Das kann sie besser.

Sendung: "Leporello" am 1. April, ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK