Star-Sopranistin Anna Netrebko hat sich zum Krieg in der Ukraine geäußert – und stellt klar, dass sie gegen diesen Krieg ist. Trotzdem fordert sie: Künstler und Künstlerinnen sollen unpolitisch sein dürfen. Eine Haltung, die Pianist Igor Levit stark kritisiert. Nun hat Netrebko ihre kommenden Konzerte abgesagt; zudem haben einige Häuser die Zusammenarbeit mit der Sängerin beendet bzw. ausgesetzt.
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Die Situation sei zu ernst, um sie unreflektiert und auf die Schnelle zu kommentieren, schrieb die russische Star-Sopranistin auf Facebook und Instagram. Deswegen habe sie sich Zeit zum Nachdenken genommen. Nach reiflicher Überlegung lässt Anna Netrebko nun über den Veranstalter River Concerts verlauten, dass sie sich bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückziehen werde: "Es ist nicht die richtige Zeit für mich aufzutreten und zu musizieren." Häuser wie die Metropolitan Opera in New York, die Oper Zürich, das Festspielhaus Baden-Baden oder Berliner Statsoper unter den Linden haben inzwischen die Zusammenarbeit mit der Operndiva ausgesetzt und werden geplante Produktionen umbesetzen.
Anna Netrebko stellte zuvor in den sozialen Netzwerken klar: "Ich bin gegen diesen Krieg. Ich bin Russin und ich liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leiden brechen mir momentan das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg endet und die Menschen in Frieden leben können. Darauf hoffe ich und dafür bete ich."
Sie wollte jedoch hinzufügen, dass es nicht richtig sei, Künstler oder andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens quasi unter Zwang zu setzen, öffentlich politisch Stellung zu nehmen oder ihre Heimat anzuprangern. Das solle jeder frei entscheiden können. Wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen sei sie kein politischer Mensch. "Ich bin keine Expertin für Politik. Ich bin Künstlerin und mein Ziel ist es, Menschen über politische Gräben hinweg zu vereinen." Netrebkos Ehemann, der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov, postete ein ähnliches Statement auf Instagram.
Der Pianist Igor Levit äußert sich per Instagram zu dieser Haltung äußerst kritisch. Auch wenn Levit Anna Netrebkos Namen nicht explizit erwähnt, schreibt er: Ein Musiker zu sein entbinde nicht von der Verantwortung als Bürger. Für Levit, der sein Konzert am 27. Februar in Brüssel mit der ukrainischen Hymne eröffnete, sei es nicht akzeptabel, sich nicht eindeutig gegen die Politik eines Mannes zu stellen, der einen Krieg gegen ein anderes Land beginnt; insbesondere wenn dieser das Staatsoberhaupt des eigenen Heimatlandes sei. Eine unpolitische Haltung in so einem Fall mit dem eigenen Künstler-Dasein zu entschuldigen, beleidige die Kunst an sich, schreibt Levit am Ende seines Posts.
Jan Böhmermann schlägt auf Twitter in dieselbe Kerbe. Anlass war das für den 2. März geplante Konzert von Anna Netrebko in der Hamburger Elbphilharmonie, das nun nach der Absage Netrebkos auf September verschoben wird. Unter der Überschrift "Traumpaar der Klassik" hätte sie mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov auftreten sollen und Böhmermann kommentierte dazu: "Vor einem halben Jahr hat Starsopranistin Anna Netrebko im Kreml ihren 50. Geburtstag gefeiert. Morgen Abend singt sie in der Elbphilharmonie in Hamburg. Nichts ist unpolitisch, niemals, und schon gar nicht die Kunst."
Doch es gibt auch Kollegen, die sich hinter Netrebko stellen. So bedankt sich der Bariton Michael Volle in den Instagram-Kommentaren bei Netrebko für deren "ehrliche Worte". Er schreibt: "Auch wenn einige Menschen das überhaupt nicht verstehen (und auch nicht verstehen wollen), war das (Netrebkos Statement, Anmk. d. Red.) absolut gut gemacht und dringend nötig." Anna Netrebko äußerte sich dann in einer Instagram-Story auch prompt noch einmal äußerst scharf: Sie wirft ihren Kritikern Bigotterie vor, weil diese geschützt zu Hause säßen und vorgäben zu kämpfen, in dem sie Künstler wie sie in Schwierigkeiten brächten. Solche Leute seien "genauso böse wie blinde Aggressoren, egal auf welcher Seite sie stehen".
Genauso böse wie blinde Aggressoren.
Anna Netrebko bei einer Pressekonferenz zusammen mit dem ostukrainischen und prorussischen Separatistenführer Oleg Zarjow | Bildquelle: picture-alliance/dpa 2014 sorgte Anna Netrebko für Aufsehen, als sie sich im Rahmen einer Pressekonferenz zusammen mit dem ostukrainischen und prorussischen Separatistenführer Oleg Zarjow fotografieren ließ, samt Fahne des international nicht anerkannten Staates "Neurussland". Mit diesem Kampfbegriff bezeichnet Kreml die Union der beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine, die Putin letzte Woche für unabhängig erklärte.
Die russische Starsopranistin überreichte Zarjow bei dieser Gelegenheit einen Scheck über circa 15.000 Euro – Geld, das nach ihren Angaben dem Opernhaus in der umkämpften ostukrainischen Separatistenhochburg Donezk zukommen sollte.
Sendung: "Allegro" am 28. Februar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK