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Kritik – "Alceste" an der Bayerischen Staatsoper Tanzende Dominosteine

Sich selbst für die große Liebe opfern – dieses Thema steht in Christoph Willibald Glucks Oper im Zentrum. Königin Alceste gibt ihr Leben für ihren sterbenskranken Mann. Doch der König kann ohne seine Gattin nicht mehr glücklich werden. Also muss Herkules einschreiten, um Alceste aus dem Hades zu retten. Bei der Inszenierung von Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui an der Bayerischen Staatsoper stahl die Tanzcompagnie den Sängerinnen und Sängern die Show.

Bildquelle: W. Hösl

Schon in der Ouvertüre wird die Partitur von Glucks "Alceste" körperlich sichtbar gemacht: Streng symmetrisch und wie angewachsen stehen die Tänzer der Eastman company zwischen zwei ausladenden weißen Treppen. Alle sind im eleganten Schlabberlook gekleidet und könnten geradewegs aus einem Modekatalog von Jil Sander geklettert sein. Die elektrisierende Musik aus dem Orchestergraben entlädt sich in den Armen und Händen der 12 Tänzerinnen und Tänzer. Zu jedem Triller fächern sie die Finger auf wie ein Kartenspiel, zu Melodiebögen schlingern sie die Arme so geschmeidig wie Tentakel eines Oktopusses. Ein starker Einstieg

Tänzerisches Opernerlebnis

Jetzt will aber Regisseur und Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui nicht nur mit ein paar ballettösen oder akrobatischen Einlagen imponieren. Er integriert seine Tanzcompagnie in die komplette "Alceste", abgesehen von einigen wenigen Arien. Das bringt eine Menge Unruhe und Bewegung im buchstäblichen Sinne auf die Bühne. In vielen Fällen überzeugt das, nämlich immer dann, wenn die Auftritte der Tänzer eine erkennbare Funktion haben: sie verkörpern die Verzweiflung des Königspaares in eng umschlungenen Drehungen, die Tänzer stürzen als Sinnbild des Sterbens wie Dominosteine zu Boden. Sie geben Impulse an den Chor ab, der überhaupt eine gute Figur macht in der Gesamtchoreographie.

Die Inszenierung in Bildern

Sicherlich einer der stärksten Auftritte ist, wenn die Tänzer Königin Alceste am Eingang zum Hades als spindeldürre, gespenstische Todesboten bedrängen. In ihren schwarzen Kapuzenoveralls und auf Stelzen erinnern sie an gigantische Figuren von Giacometti. Am Ende des ersten Aktes jedoch, als Alceste sich durchringt, für ihren Mann Admete sterben zu wollen, erschließt sich die Bedeutung so manch eines expressiven Purzelbaums oder eines Luftsprunges mit wehendem Tuch im Schlepptau nicht.  Da wuseln die Tänzer dann zwar elegant und engagiert über die Bühne, aber ohne erkennbare Motivation.

Unbewegte Sängerinnen auf der Bühne

Alles in allem spielt sich auf der schnörkellosen, weiß-grauen Bühne über drei Akte zwar ein ästhetisches Ping-Pong aus Tanz und Gesang ab. Eine klare Personenregie bleibt bei den Sängern jedoch auf der Strecke. Dorothea Röschmann in der Rolle der Alceste dürfte während des gesamten Abends die Bühnenlänge maximal drei Mal abgeschritten haben. Dafür hat sie dem eigentlich längst verpönten "An der Rampe singen" eine Renaissance beschert. Manchmal stechen ihre hohen Töne wie die Nadeln eines Kaktus, manchmal zittern die Vokale vor Schmerz. Sie legt viel Ausdruck aus dem Bauch in die Stimme, aber mimisch und gestisch fällt es doch schwer, ihr die Traurigkeit oder das Glück abzunehmen.

Vom Chor auf Händen getragen

Szenenfoto | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk 2019 Bildquelle: Bayerischer Rundfunk 2019 König Admete, gesungen von Charles Castronovo drückt mit Vollgas auf die Stimmbänder. Ganz gleich, ob er kränkelt, klagt, jubelt oder bittet. Er schreitet dabei stets majestätisch über die Treppen, aber als die Tänzer ihn durch den Chor tragen wie beim Stage Diving, wirkt er wie ein Vegetarier, der versehentlich einen Hamburger gegessen hat.
In der Rolle des Hercule, also Herkules, schert sich Michael Nagy nicht um den insgesamt eher kühl-ästhetischen Anspruch der Inszenierung von Cherkaoui. Nagy lässt seinen Bariton dunkel und mollig warm tönen, um kurz darauf wieder scheppernd und angeberisch aufzutrumpfen. Bei ihm menschelt es, trotz Heldenrolle.

Dirigent mit Doppelfunktion

Im Orchestergraben hat Antonello Manacorda die Zügel des großen Gespanns fest im Griff, auch wenn nicht jeder Übergang zwischen den Szenen so gut flutscht wie ein Stück Seife aus der Hand. Dennoch: die Doppelrolle als Opern-und Ballettdirigent liegt ihm, er gibt alles. Die Naturhörner blubbern motzig und die Streicher spielen, wie sich das für einen historisch informierten Gluck gehört, größtenteils mit nur ganz wenig Vibrato. Das Publikum feiert diese "Alceste" mit viel Applaus und nur ganz wenigen Buhs für das Regieteam.

"ALCESTE" - BAYERISCHE STAATSOPER 

Oper in drei Akten von Christoph Willibald Gluck
Premiere: Sonntag, 26. Mai 2019 um 18 Uhr

Alle Termine und weiteren Infos finden Sie auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper.

Sendung: "Allegro" am 27. Mai 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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