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Kritik - Ballett "Kylián/Goecke/Montero" am Staatstheater Nürnberg Packend getanzte Gender-Fragen

Am 13. April feierte in Nürnberg der neue dreiteilige Ballettabend an der Staatsoper Premiere. "Kylián/Goecke/Montero" ist der Abend schlicht überschrieben. Auf tänzerischer Ebene widmet sich Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero dem vieldiskutierten Thema "Gender". Und mit dem Tschechen Jiri Kylián – schon heute eine Ballettlegende – und Marco Goecke – einem der bekanntesten deutschen Choreographen der jüngeren Generation – holt sich Goyo Montero zwei prominente Meisterchoreographen an die Seite.

Bildquelle: Jesus Vallinas

Die Kritik anhören

Die Stimme von Patti Smith und Tanz pur: Die Choreografien von Marco Goecke brauchen kein Bühnenbild. Mit der Arbeit "Thin Skin" – zu Deutsch dünne Haut – hat Goecke vor vier Jahren für das Nederlands Dans Theater der Punkikone Patti Smith ein Denkmal gesetzt. Jetzt wird das Stück erstmals von einer anderen Compagnie getanzt.

Die Inszenierung in Bildern

Goecke hat in seinen Choreografien ein ganz eigenes System der Bewegung geschaffen: Sofort wiedererkennbar und kompromisslos ist sein Tanzstil. Er versetzt klassische Arm- und Beinhaltungen in seinen Kosmos der ruckartigen Klappmännchen aus Geschwindigkeit und Verlangsamung: Allein oder im Part de Deus krallen, kratzen, wedeln und zittern die zehn Tänzerinnen und Tänzer des Nürnberger Staatsballetts zur Musik von Patti Smith.

Tätowiert statt nackt

Szene aus dem Ballett "Kylián/Goecke/Montero" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Jesus Vallinas Bildquelle: Jesus Vallinas Alle Tänzerinnen und Tänzer tragen schwarze Hosen und haben nackte Oberkörper – auch so ein Kennzeichen von Marco Goecke. Doch Halt! Die Frauen und Männer sind nicht richtig nackt, sondern sie sind übersät mit dutzenden Tätowierungen. Stark und doch irgendwie verletzlich wirken die schnellen Bewegungen. Patti Smith hat mal von einer "Gedankenwelt der Geistertattoos" gesprochen. In Goeckes packender Choreographie scheinen die herausragend agierenden Tänzer und Tänzerinnen aus den körperlichen Grenzen zu flüchten, um sich in etwas Schöneres aufzulösen. Mann oder Frau spielt in dieser Gedankenwelt schon lange keine Rolle mehr.

Gefallene Engel zupfen an der zu engen Haut

Ganz anders im zweiten Teil des Ballettabends: Hier stehen sich das reine Frauenstück "Falling Angels" von Jiri Kylián und Goyo Monteros Männerstück gegenüber; der Spanier hat es schlicht "M" genannt – wie maskulin oder Männlichkeit. Die acht Engel tanzen bei Jiri Kylián zur Minimal-Music von Steve Reich. Schon vor 20 Jahren hat er dieses hochspannende und verdichtete Werk geschaffen. Mal kokett und frivol mit Hüftschwung, dann wütend um sich schlagend oder frustriert am Trikot ziehend – ein schönes Bild für "aus der Haut fahren wollen". Das bedeutet: Gefallene Engel sind komplex, und so sieht Kiliáns Hommage an die Weiblichkeit aus.

Das Männer-Bild dreht sich ums Klischee

Szene aus dem Ballett "Kylián/Goecke/Montero" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Jesus Vallinas Bildquelle: Jesus Vallinas Und die Männer? Die kommen bei Goyo Monteros sehr humoristischer Arbeit auf einer Rutsche, quasi durch einen röhrenhaft-vergitterten Geburtskanal, auf den Spielplatz der Männlichkeit geplumpst. Ganz klischeehaft messen sie ihre Kräfte, kämpfen, schreien und schnarchen. Die neun Tänzer bewegen sich immer in der Gruppe. Drehend, hüpfend, wälzend – wie ein Rudel junger Wölfe. Doch: Wehe wer die Gruppe verlässt, wer anders ist. Gerade die ironisch überzogenen Gesten mit großer Spielfreude und physisch bis an die Grenzen getanzt - führen festverwurzelte Klischees vor Augen.

Drei ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Thema "Gender". Ein packender Ballettabend! Letztendlich, und das arbeiten alle drei Choreographien heraus, sehnen sich alle Individuen nach Zuneigung – da spielt das Geschlecht keine Rolle.

Sendung: "Allegro" am 15. April 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Kylián / Goecke / Montero" am Staatstheater Nürnberg

Weitere Informationen sowie Tickets und Termine finden Sie auf der Homepage des Staatstheaters Nürnberg.

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