So ähnlich fing das beim berühmten Komponisten und Dichter E.T.A. Hoffmann wohl mit dem Alkoholproblem an: Ein freundlicher Barkeeper schüttelte einen Drink, charmante Damen reichten die Sektflaschen. Und prompt hing der Künstler an der Flasche, leider nicht nur in Jacques Offenbachs phantastischer Oper, sondern auch im wirklichen Leben.
Bildquelle: A.T. Schaefer / Theater Augsburg
Der junge holländische Regisseur Jim Lucassen spielte darauf gestern Abend am Theater Augsburg allerdings nur am Anfang und Ende seiner Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" an. Dazwischen hatte der so freigebige wie teuflische Barkeeper frei und Hoffmann blieb trocken - und trotzdem verzweifelt. Denn mit Frauen hat er zumindest bei Offenbach genauso wenig Glück mit Drogen. Und alles zusammen stürzt das geniale Multitalent begreiflicherweise in eine Lebenskrise. In Augsburg wankt Hoffmann schließlich ins Licht, schwer benebelt und enttäuscht von der Welt. Eine sehr pessimistische Sichtweise, die vom Publikum mit ausgesprochen mattem Applaus kommentiert wurde. Allerdings gab es auch keine Proteste gegen die Regie. "Hoffmanns Erzählungen" ist eben ein sperriges, unfertiges Werk, durchaus populär, aber eher wegen der unterhaltsamen Frauenfiguren. Das Schicksal des so unglücklichen wie rätselhaften Hoffmann überfordert und befremdet dagegen viele.
Kerstin Descher, Sally du Randt und Cathrin Lange | Bildquelle: A.T. Schaefer Jim Lucassen und seine Ausstatter Marc Weeger und Silke Willrett verlegten die Handlung in das Foyer einer Oper. Hier feiert sich eine schwer hysterische Kulturschickeria mit Modenschau, Starrummel, E-Gitarre und Bordellatmosphäre. Die Muse stöckelt als farbenfroh gekleidete Ausstellungskuratorin herum, die mechanische Puppe Olympia wirft sich einen Reifrock über, die sterbenskranke Sängerin Antonia lässt sich melodramatisch im weißen Kittel blicken, die lebenslustige Unterhaltungsdame Giulietta kommt gleich dreifach auf die Bühne und schaukelt gern zur berühmten venezianischen Barkarole - und die divenhafte Stella, die eigentlich all diese Charakterzüge in sich vereinigt, nimmt am Ende so generös wie ungerührt einen Riesenstrauß roter Rosen entgegen.
Hoffmann selbst ist offensichtlich Student an der Kunstakademie und hadert mit seinen merkwürdigen, abstrakten Skulpturen, die laut Programmheft Sinnbilder seiner Frauen sein sollen. Der südkoreanische Tenor Ji-Woon Kim war mit der Titelrolle des Hoffmann schauspielerisch leider überfordert, offensichtlich hatte Regisseur Jim Lucassen Schwierigkeiten, ihm und den anderen Mitwirkenden sein Regiekonzept zu vermitteln. Jedenfalls wirkte manche Szene seltsam unentschlossen und fahrig, vor allem im zweiten Teil hätte mehr Probenzeit womöglich zu plausibleren Bildern geführt. So blieb die Geschichte einer Künstlerkrise mehr angestrengte Behauptung als packendes Drama. Bass Young Kwon etwa war als Bösewicht in gleich vier Rollen stimmlich eindrucksvoll, szenisch sehr reserviert.
Es ist Mode geworden, die drei Frauenrollen mit einer Sängerin zu besetzen. Augsburg ging einen anderen Weg: Cathrin Lange, Andréana Kraschewski und Sally du Randt teilten sich die Aufgabe - stimmlich tadellos, optisch leicht verunsichert, wie alle. Der Berliner Dirigent Lancelot Fuhry mühte sich wacker, die enorme Vielfalt von Offenbachs unvollendeter Partitur zu Gehör zu bringen, schließlich sind gerade die krassen Stimmungswechsel das Kennzeichen dieser Oper. Doch die Augsburger Philharmoniker hatten nicht ihren besten Tag. Sie spielten solide, aber völlig uninspiriert, fast lustlos. Wahrhaft tragisch, wenn ausgerechnet beim furiosen Offenbach der Funke nicht überspringt. Mag sein, dass Regisseur Jim Lucassen noch etwas die Autorität fehlt, seine Vorstellungen umzusetzen. Trotzdem ein lohnender Abend.