Rossinis "La Cenerentola" feierte am Samstag im Nürnberger Staatstheater Premiere. Regisseur Jan Philipp Gloger siedelt die Oper im Millieu der Casting-Shows an und macht es dem Publikum nicht einfach, sich für eine Favoritin zu entscheiden.
Bildquelle: Ludwig Olah
Opernkritik
"La cenerentola" am Staatstheater Nürnberg
Nirgends leidet es sich so schön, wie in der Oper. Und doch freut sich das Publikum mindestens ebenso sehr, wenn am Ende einmal nicht gestorben, sondern Hochzeit gefeiert wird. Wenn das Liebespaar, mit dem man einen ganzen Theaterabend mitgefiebert hat, sich endlich das Jawort und den lang ersehnten Kuss geben kann. Und ein Happy End ist natürlich auch am Staatstheater Nürnberg vorprogrammiert, wo Regisseur Jan Philipp Gloger Rossinis "La Cenerentola" als große Casting-Show im Stil von "Der Bachelor" oder "Germany’s Next Top Model" aufzieht und der bekannten Geschichten den einen oder anderen neuen Dreh verpasst.
Bildquelle: Ludwig Olah Während es im Original oft seltsam wirkt, dass der begehrteste Junggeselle des Landes offenbar nur von drei singenden Schwestern angehimmelt wird, jagt ihm in Glogers "Marry the Prince" gleich eine ganze Schar junger Damen hinterher. Was für eine ganze Reihe von absurd komischen Situationen sorgt, die vom Publikum immer wieder mit begeistertem Szenenapplaus bedacht werden. Hier erlebt man Ensembletheater vom Feinsten. Von Menschen, die sich aus zahlreichen Produktionen kennen und um die Stärken ihrer Partner wissen. Ein Opernabend, bei dem sich die Sängerinnen und Sänger gekonnt die Bälle zuspielen und beweisen, dass es bei Rossini eben nicht allein mit dem Singen getan ist, sondern man eben auch gut spielen muss, damit diese oft ins Klischee abrutschende Komödie funktioniert.
Und so macht es einfach Spaß zuzusehen, wenn Taras Konoshchenko sich als polternder Don Magnifico mit dem nicht minder arroganten aber umso eleganter gesungenen Dandini von Ben Connor zofft. Oder wenn Chloë Morgan und Sara Šetar sich als schrill überdrehte Stiefschwestern in die Haare bekommen, ohne darüber das kultvierte Singen zu vergessen. Mag sein, dass Belcanto nicht bei allen gleichermaßen zur Kernkompetenz zählt und sich der eine oder die andere von ihnen vielleicht beim schweren Verdi wohler gefühlt hätte. Doch dies fällt letzten Endes kaum ins Gewicht, weil die Truppe als Bühnenfamilie ganz hervorragend funktioniert und Dirigent Björn Huestege selbst bei den verzwickten Ensembles die Zügel fest im Griff hat. Wobei mangelnde Italianitá mit flotten Tempi aufgewogen wird, und das Geschehen so stets im Fluss bleibt.
1/8
Sergei Nikolaev, Corinna Scheurle
Bildquelle: Ludwig Olah
2/8
Corinna Scheurle, Nicolai Karnolsky
Bildquelle: Ludwig Olah
3/8
Ben Connor, Statisterie
Bildquelle: Ludwig Olah
4/8
Chloë Morgan, Corinna Scheurle, Sara Šetar
Bildquelle: Ludwig Olah
5/8
Ben Connor, Taras Konoshchenko, Chloë Morgan, Sara Šetar
Bildquelle: Ludwig Olah
6/8
Taras Konoshchenko und Chor des Staatstheater Nürnberg
Bildquelle: Ludwig Olah
7/8
Taras Konoshchenko, Sara Šetar, Sergei Nikolaev, Corinna Scheurle | Bildquelle: Ludwig Olah
8/8
Sergei Nikolaev, Corinna Scheurle
Bildquelle: Ludwig Olah
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht natürlich trotzdem Titelheldin Corinna Scheurle, die sich von Anfang an der Opferrolle verweigert und immer wieder selbst aktiv wird. Und zwar nicht nur dann, wenn sie mit ihrem charaktervollen Mezzo Koloraturen am laufenden Meter strickt. Cenerentolas Emanzipation beginnt hier bereits wenn sie dem als Bühnentechniker verkleideten Prinzen gleich nach dem ersten schmachtenden Duett einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen drückt und damit keinen Zweifel daran lässt, wer über ihr Leben bestimmt.
Bildquelle: Ludwig Olah Die Stellung als Außenseiterin verdankt sie in Glogers Produktion einer Gehbehinderung und der damit verbundenen Beinschiene, die leider so gar nicht den Laufsteg-Konventionen entspricht, denen ihre Schwestern nacheifern. Ein scheinbarer Makel, der Cenerentola aber keineswegs ausbremst und auch beim unvermeidlichen Happy End nicht einfach gedankenlos weggezaubert wird. Womit Gloger noch einmal die zentrale Botschaft des Stückes unterstreicht, dass die inneren Werte im Idealfall eben doch wichtiger sein sollten als Äußerlichkeiten.
Das ist ebenfalls bei Sergei Nikolaev zu spüren, der dem Prinzen neben seinem geschmeidigen Tenor ebenso eine sympathische Unbeholfenheit mitgibt, durch die das Publikum sofort auf seiner Seite ist. Da sieht man einen jungen Mann, der durch die in ihn gesetzten Erwartungen ähnlich gefangen scheint, wie seine Auserwählte und absolut überfordert ist, wenn er in Verkleidung auf einmal tollpatschig den "normalen" Menschen spielen soll.
Sicher, schon der große Loriot hat einst in seiner unnachahmlich trockenen Art zu Bedenken gegeben, dass man nie weiß, ob das"Lieto fine" in der Oper wohl von Dauer ist. Oder die Heirat womöglich doch nur der Anfang der wahren Tragödie. Doch so menschlich wie Jan Philipp Gloger die Geschichte in Nürnberg erzählt, darf man berechtigte Hoffnung anmelden, dass Aschenputtel und ihr Prinz hier vielleicht tatsächlich ein neues, besseres Leben vor sich haben.
Sendung: "Allegro" am 5. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)