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Premierenkritik "Orfeo ed Euridice" an der Staatsoper Berlin

Inzwischen ist ja allgemein bekannt, dass die alten Griechen nicht ganz so edel und tugendreich waren, wie sich das gescheite Leute früher mal vorgestellt haben. Nicht mal die Marmorstatuen waren ja ursprünglich so weiß und erhaben, wie sie uns überliefert sind, sondern grell bunt angemalt. Zu den Zeiten von Christoph Willibald Gluck freilich, also vor etwa 250 Jahren, galt die griechische Klassik als Inbegriff der Erhabenheit, also einfach, stilsicher und sittsam.

Bildquelle: Staatsoper Berlin

Premierenkritik zum Nachhören

Jürgen Flimm inszeniert Glucks "Orpheus und Eurydike"

Das predigten damals jedenfalls der Philosoph Jean-Jacques Rousseau und der Kunstgelehrte Johann Joachim Winkelmann. Die gebildete Öffentlichkeit war tief beeindruckt, jeder wollte diesem Ideal plötzlich nacheifern, auch Gluck. Barocke Prachtentfaltung kam aus der Mode, zeitgemäße Künstler konzentrierten sich fortan gern auf das Wesentliche. Glucks Erfolgs- und Reformoper "Orfeo ed Euridice" wurde dafür stilbildend.

Glucks Oper im Zeitraffer

An der Berliner Staatsoper inszenierte Intendant Jürgen Flimm zum Auftakt der Festtage 2016 die selten gespielte Urfassung von 1762, ohne Pause gerade mal 80 Minuten lang, also wirklich kurz und knapp. So konzentriert wollten es Glucks Zeitgenossen dann doch wieder nicht haben: Für Paris musste er einige Jahre später eine Zweieinhalb-Stunden-Fassung mit Ballett komponieren. Radikale Einfachheit und Klarheit sind eben selten unterhaltsam.

In Berlin freilich gelang es Jürgen Flimm mustergültig, den wahrhaft erhabenen Geist dieser Oper in eindrückliche Bilder zu übersetzen. Es geht in "Orfeo ed Euridice" ja um nichts weniger als um die Frage, ob die Liebe wirklich stärker ist als der Tod, ob Orpheus seine verstorbene Geliebte tatsächlich aus dem Jenseits zurückholen kann. Er scheitert, allerdings so poetisch, das Hoffnung bleibt.

Paradies im Bauhaus-Stil

Dem Programmheft war zu entnehmen, dass das Bühnenbild in "Kooperation" mit der Firma des berühmten amerikanischen Architekten Frank Gehry entstanden ist. Wie intensiv Gehry auch immer beteiligt war: Seine Arbeit machte Effekt. Zu Beginn lodert das Begräbnisfeuer für Eurydike, aus ihrer Toten-Bahre wird eine Folterbank für Orpheus. Die schaurigen Furien der Unterwelt stechen ihn mit Messern blutig. Die Reise ins Jenseits ist eben keine Kaffeefahrt. Das Paradies ist grellbunt, eine Art Bauhaus-Fantasie im Stil von Künstlern wie Kandinsky und Moholy-Nagy: lauter geometrische Formen, die fröhlich umeinander spielen. Eurydike freilich haust in einem trostlosen Einzelzimmer mit Röhrenfernseher.

Tanzende Hochzeitspaare verkörpern am Ende den Sieg der Liebe über den Tod. Göttervater Jupiter schaut sich alles als stummer Beobachter an. So bebildert ist Gluck tatsächlich klassisch erhaben, tiefsinnig, anrührend und tröstlich. Mitunter wirkt das aber auch dermaßen elegisch, das der eine oder andere Zuschauer hörbar wegnickte.

Überzeugendes Sängerensemble

Daniel Barenboim am Pult dirigierte mit Taktstock, den es zu Glucks Zeiten in dieser Form noch nicht gab. Insofern war das wohl ein absichtlich gesetztes Zeichen für Glucks Modernität. Besonders energisch griff Barenboim bei den Chorszenen ein, die ihm wohl hier und da allzu behäbig klangen. Die traditionsreiche und gern auftrumpfende Staatskapelle fremdelte etwas mit dem betont klassizistischen, also streng kontrollierten, vernunftgeleiteten Gluck. Großer Applaus für den amerikanischen Countertenor Bejun Mehta als Orpheus. Auch Anna Prohaska als Eurydike und Nadine Sierra als Amor überzeugten in jeder Hinsicht. Ein erhellender Abend über die großen Themen der Aufklärung, über die zeitlose Sehnsucht nach dem Wesentlichen.

Link-Tipp

Alle Aufführungstermine sowie weitere Informationen zur Neuproduktion von Glucks "Orfeo ed Euridice" finden Sie auf der Website der Staatsoper Berlin.

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