Regisseur Roland Schwab zeigt Wagners Romantische Oper als Flugzeug-Katastrophen-Stück: Die Passagiere eines abgestürzten Jets flüchten sich in bizarre Heilserwartungen und machen Party. Das ist bildmächtig und unterhaltsam, aber akustisch heikel.
Bildquelle: © Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater
Da hat sich die Maschine der Brabant-Air, zu erkennen am gelben Löwen auf dem Seitenruder, auf dem Weg von Antwerpen nach Salzburg wohl in der Landebahn geirrt: Jedenfalls krachte der Jet genau auf die vierzig Meter breite Bühne der Felsenreitschule. Zu Schaden kam bei der Bruchlandung aber offenbar nur Blech, denn sämtliche Passagiere sitzen verdattert, aber ohne äußere Verletzungen auf den herumliegenden Trümmern. Der blinde König wirft sich flugs eine goldfarbene Überlebens-Folie über die Schulter und los geht der Schabernack, von dem bis zum Ende offen bleibt, ob das alles Einbildung ist oder eine Art Trauma-Therapie.
Ausstatter Piero Vinciguerra und Regisseur Roland Schwab haben also ein optisch ganz lautes Ausrufezeichen gesetzt bei ihrem "Lohengrin": Nicht nur, dass sie raumfüllend die Ruine eines Passagierflugzeugs im Original-Maßstab zeigen, es wird auch auf den ersten Blick deutlich, was sie damit meinen. In roten Leuchtbuchstaben ist darüber nämlich das Wort GLAUBEN zu lesen, mal flackernd, mal brennend grell, mal halb verlöscht, je nach dem aktuellen Grad der Zuversicht.
Bildquelle: © Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater Wer hier abgestürzt ist, bleibt somit keine Sekunde unklar. Zu Bruch ging ganz offenkundig das Vertrauen auf einen Heilsbringer, gingen hochgespannte Erwartungen, der Traum vom Paradies auf Knopfdruck. Der Kapitän, der bei dieser Reise in eine bessere Welt am Steuerknüppel saß, hatte augenscheinlich keine Lizenz oder war mit seinen Gedanken woanders. Und somit ist Lohengrin auch in dieser Inszenierung einmal mehr ein Scharlatan, ein gestriegelter Schlagerfuzzi im Glitzer-Hemdchen mit einem bizarren Anzug in schwarz-weiß (Kostüme: Gabriele Rupprecht), der aussieht, als ob der Träger bis zur Hüfte durchs Feuer gegangen ist.
Merkwürdig, dass auf diesen Prediger irgendjemand rein fällt, aber vielleicht sehnen sich ja gerade abgestürzte Zeitgenossen besonders inbrünstig nach Erlösung. In diesem Fall saßen in der Maschine lauter graue Mäuse in sandfarbenen Jedermanns-Klamotten, möglicherweise Opfer des Alltags, der Routine, der Langeweile. Aus ihnen allen werden kurzzeitig Paradiesvögel in schillernden Abendkleidern, in Smoking mit Fliege, kurz und gut eine Festgesellschaft, die es trotz Total-Crash und rauchenden Trümmern mal richtig krachen lässt.
Bildquelle: © Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater Es sind klare Botschaften und eindeutige Bilder, die diesen "Lohengrin" kennzeichnen - Bilder, die am Ende nicht nur Beifall erhielten, es gab auch vernehmliche Protestrufe. Womöglich wollten einige Zuschauer damit ihren Unmut kundtun, weil sie viereinhalb Stunden auf eine Flugzeug-Ruine starren mussten. Dabei war das eher musikalisch ein Problem: Weil Regisseur Roland Schwab tatsächlich die gesamte, riesige Bühnenbreite vor dem Wrack bespielen ließ, waren die Solisten häufig so weit voneinander entfernt, dass zwischen ihnen keine rechte Spannung aufkam und der weit auseinander gezogene Chor selten beisammen war.
Da stand Dirigent Leslie Suganandarajah, der neue Musikdirektor des Salzburger Landestheaters, akustisch auf verlorenem Posten. Immer wieder gab es irritierende Interferenzen, als ob querlaufende Wasserwellen von rechts und links sich an immer neuen Stellen gegenseitig einholen und dann gemächlich in unterschiedliche Richtungen weiterlaufen. Was optisch wichtig und richtig ist, nämlich die überdimensionierte Felsenreitschule dramaturgisch in den Griff zu bekommen, weil sich die Mitwirkenden sonst im Raum so gründlich verlieren können wie auf der Seebühne von Bregenz, genau das ist akustisch leider hoch riskant.
Bildquelle: © Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater Obendrein braucht es Solisten von Weltformat oder Mikrofone, um dieses Raumvolumen stimmlich auszufüllen. Da kamen viele Darsteller an ihre Grenze, auch Miina-Liisa Värelä als Ortrud, Jacquelyn Wagner als Elsa, Pavel Kudinov als König Heinrich und Alexander Krasov als Telramund. Benjamin Bruns in der Titelrolle schonte sich klugerweise und sparte sich seine Energie für den kraftraubenden dritten Akt auf, wo er mit der Gralserzählung beeindruckend glänzte. Insgesamt eine gewaltige Kraftanstrengung für das vergleichsweise kleine Salzburger Landestheater, das es geschafft hat, einen unterhaltsamen, bildmächtigen "Lohengrin" zu wuppen, der zwar musikalische Schwächen hatte, aber gleichwohl überzeugte.
Sendung: Allegro am 4. November ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK.