Semele fällt auf eine Intrige herein: Sie will ihren Liebhaber Jupiter in "wahrer Gestalt" sehen und verbrennt prompt an seinen Strahlen. Händels Oratorium wird an der Komischen Oper Berlin zur düsteren Parabel, inszeniert von Barrie Kosky. Am Pult steht Barock-Spezialist Konrad Junghänel.
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Die Kritik zum Anhören
Die wahre Liebe wird zwar oft besungen, aber Wahrheit und Liebe, das geht eigentlich gar nicht zusammen, denn wer weiß schon alles über seinen Partner, geschweige denn die Wahrheit? Wer ihr zu nahe kommt, der kann sich leicht an ihr verbrennen, so wie Semele, die Königstochter. Sie liebt einen Kerl, der sich als Jupiter ausgibt, und kommt auf die gefährliche Idee, ihn so sehen zu wollen, wie er wirklich ist, also im vollen Glanz seiner Göttlichkeit. Das geht gründlich schief: Semele zerfällt in den Flammen der Wahrheit augenblicklich zu Asche; Juno, Jupiters eifersüchtige Ehefrau, kann triumphieren.
Durchaus modern also, das Thema von Georg Friedrich Händels Oratorium, und gleich in mehrfacher Hinsicht. Auch in der Liebe kann etwas Demut nicht schaden, vor sich selbst und vor dem Partner, so die Moral, und wer sich mit Mächtigen einlässt, sollte Vorsicht walten lassen. Barrie Kosky, Hausherr an der Komischen Oper Berlin, inszenierte das Oratorium aus dem Jahr 1744 weder als bunte Satire noch als moralisches Lehrstück, sondern eher als düstere Parabel über die Unmöglichkeit der Liebe. Semele steigt am Anfang aus genau der dampfenden Asche, zu der sie am Ende wieder wird.
Bildquelle: © Monika Rittershaus Dazwischen ist sie vorwiegend mit Selbsttäuschung beschäftigt, schenkt trügerischen Spiegelbildern Vertrauen, fällt auf Junos Intrige herein und ist somit ihrer Leidenschaft ganz und gar nicht gewachsen, sondern eitel, narzisstisch, naiv. Kein Wunder, dass Juno hämisch singt: "Love's a bubble, gain'd with trouble and in possessing dies" - "Die Liebe ist eine Seifenblase, die nichts als Ärger macht und bei Berührung platzt". Das Ganze spielt in einen ausgebrannten, barocken Salon, entworfen von der französischen Ausstatterin Natacha Le Guen de Kerneizon. Hier hat offensichtlich ein Feuersturm gewütet: Die Wände sind verkohlt, die Spiegel verrußt, die Sessel bis aufs Holzgerippe abgefackelt. Den Göttern ist es egal: Sie staksen im Abendkleid durch die Ruine, und die Menschen haben das Nachsehen.
Eine pessimistische, zutiefst ernsthafte, aber auch sehr berührende, gedankenvolle Deutung, näher am barocken Todeskult, am Lamento von der Hinfälligkeit alles Daseins, als an - ebenfalls barocker - Lebensfreude und Üppigkeit. Und tatsächlich komponierte Händel das Oratorium nach einem schweren Schlaganfall, wie Barrie Kosky im Programmheft deutlich machte. Blutig und geschwärzt bleibt Semele in dieser Inszenierung am Ende zurück. Dass aus ihrer Asche dem antiken Mythos zufolge Dionysos geboren wird, der Gott der Lust und der Sinnlichkeit, ist offenbar kein Trost. Nicole Chevalier meisterte die Titelpartie mit gewohnt intensivem Schauspiel und warmer, voller Stimme, obwohl sie sich noch wenige Stunden vor der Premiere krankheitsbedingt entschuldigen wollte und im Orchestergraben eine Ersatz-Sängerin saß. Die allerdings kam nicht zum Einsatz.
Großer Beifall auch für die türkische Mezzo-Sopranistin Ezgi Kutlu als vor Eifersucht rasende Juno und für Even Hughes als Somnus, den Gott des Schlafes, der hier betörend gut aussieht und einen überdimensionalen Ohrring trägt. Enttäuschend war der amerikanische Counter-Tenor Eric Jurenas als ziemlich langweiliger Liebhaber Athamas. Der Chor brillierte mit teils rasend schnellen Auftritten und allzeit perfekt ausbalanciertem Gesang.
Dirigent Konrad Junghänel ist jederzeit anzumerken, dass er es sehr genau nimmt mit seiner Schlagtechnik, keine rhythmischen Nachlässigkeiten duldet, was mitunter etwas pedantisch wirkt und Sängern wie Orchester wenig Spontaneität und Emotionalität ermöglicht. Junghänel hat jederzeit alle Fäden in der Hand, wohl geordnet, penibel gestrafft. Er liebt es hörbar, das Material zu ordnen, auch transparent zu machen. Eruptive Ausbrüche sind seine Sache nicht. Insgesamt ein umjubelter Händel-Abend - und die Botschaft, dass Liebende besser nachsichtig als gründlich sein sollten.
Georg Friedrich Händels Oratorium "Semele" an der Komischen Oper Berlin ist noch am 26. März, 03. und 15. Juni sowie am 10. Juli zu sehen.
Sendung: "Leporello" am 14. Mai 2018 ab 16.05 in BR-KLASSIK.
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