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Kommentar: Menschheitsrelevanz Brauchen wir Kunst und Kultur?

In dem hinreißenden Film "Ziemlich beste Freunde" wird eine sehr gute Frage gestellt: "Warum interessieren sich die Leute für Kunst?“ Der Fragesteller antwortet selbst: "Weil es das einzige ist, das von uns bleibt." Hinter Kunst und Kultur, das wird hier deutlich, steckt viel mehr als nur Unterhaltung. In Zeiten der Corona-Krise geraten die Künste aber immer mehr ins Hintertreffen. Es steht dabei viel mehr auf dem Spiel als einfach nur der Genuss von schönen Dingen. Was genau? Ein Zwischenruf von Roland Spiegel.

Bildquelle: picture-alliance/dpa; Montage: BR

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Kunst ist kein Luxus. Egal, ob nun Bildende Kunst, Literatur, Theater, Film oder Musik –  sie zeigt, was und wie wir sind. Sie reagiert auf kleines Glück und große Katastrophen, auf archaische Bedrohungen und auf hochmoderne Gesellschaftskrisen. Sie speichert Emotionen – und macht sie wieder abrufbar. Sie erlaubt der Nachwelt, in unsere Mitwelt einzutauchen – und der Mitwelt, sich selbst ein bisschen besser zu verstehen.

Kunst bietet auch Zuflucht

In Zeiten wie dem nun elfmonatigen, weltweiten Corona-Stillstand bietet Kunst auch Zuflucht. Das kann ein Dialog in einem Fernsehkrimi sein, der hilft, kurz vom Alltag wegzukommen. Das kann ein Musikstück von Bach sein, das wenigstens ein bisschen Trost beim Verlust von Angehörigen spendet. Das kann ein politisches Kabarett sein, ein Gedicht von Brecht, ein gestreamtes Musikstück von Billie Eilish: menschliche Äußerungen, die wir brauchen, um uns nicht nur um uns selbst zu drehen. Es ist eine eindringliche Erfahrung: So dringend wie in dieser Zeit der kollektiven Lähmung habe ich Kunst und Kultur selten zuvor gebraucht. Genauer: Selten zuvor habe ich so stark gespürt, wie lebenswichtig sie sind.

Sind die Klagen überzogen?

Die besondere Gemeinheit von Pandemien ist ihre Ungerechtigkeit. Niemand, der erkrankt, hat es verdient. Das Virus überfällt Unschuldige. Die Gesellschaft steckt Geld in unmittelbar dringende Maßnahmen. Ja, sie steckt auch Geld in die Kultur. Aber die Hilfen sind nicht vergleichbar mit den Einnahmen bei regulärer Arbeit, und viele Künstlerinnen und Künstler fallen aus unterschiedlichen Gründen durchs Raster. Sind ihre Klagen überzogen in Zeiten, in denen täglich Menschen durch das Virus sterben? "Ach, die sollen mal auf dem Boden bleiben", sagt ein Bekannter von mir: "Die haben Jahre lang so viel verdient". Und er nennt als Beispiele Bob Dylan und Paul McCartney!

Ist Musik etwa Arbeit?

Doch auch unter Kunstschaffenden gibt es ganz normale Existenzen – und zwar in der überwiegenden Mehrheit. Leute, die von wöchentlichen Auftritten ihre Miete zahlen müssen, die tagein, tagaus arbeiten, um davon leben zu können. Berufstätige in einer Domäne, die manche Menschen nicht mit Arbeit assoziieren. Man kennt den Witz. Fragt ein Partygast den Musiker: "Und was machen Sie beruflich?"

Kultur ist Leben

Nun gut: Party ist nicht. Schon lange nicht mehr. Vielleicht auch noch lange nicht. Kunst und Kultur stehen aber nicht für Party, sondern für das Leben. Und Leben ist mehr als Systemerhaltung. Das Wort "systemrelevant" ist so ungerecht wie das Virus: Es meint nur diejenigen Berufe und Tätigkeiten, die das unmittelbare Funktionieren der Gesellschaft garantieren. Das "mechanische" Funktionieren. Für Kunst und Kultur braucht man ein anderes Wort. Wie wär's mit menschheitsrelevant? Menschheitsrelevant sind die Dinge, die dafür sorgen, dass wir wir bleiben und zumindest nicht sofort zum verlorenen Rädchen in einer zermalmenden Maschinerie der Krise werden.

Ein wichtiger Teil unserer Identität

Und eines ist ganz sicher: Diese Dinge brauchen wir jetzt und in naher Zukunft nötiger denn je. Wir müssen sie noch mehr fördern als bisher, müssen dafür sorgen, dass Kunstschaffende wieder ihre Arbeit tun können. Es gibt dafür überzeugende Konzepte von ihnen selbst und Veranstaltern. Die sind ernst zu nehmen. Denn was verschwinden wird, wenn es weitergeht wie jetzt, sind nicht nur Veranstaltungsorte und -reihen. Es sind in vielen Fällen die Künstler selbst und das, was sie schaffen: ein wichtiger Teil unserer Identität. Sie aufzugeben, können wir uns am allerwenigsten leisten.

Sendung: "Allegro" am 5. Februar 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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