Es ist das Hochamt des britischen Kulturkalenders: Die "Last Night of the Proms" endet traditionell im kollektiven Fahnentaumel und mit dem Gesang patriotischer Hymnen. Genau die standen jedoch jüngst in der Kritik. Imperialistisch und rassistisch seien die Texte, lautete der Vorwurf. Singen oder nicht singen war die Frage. Erst hat die BBC, die das Konzert ausrichtet, entschieden – nun hat sie ihre Entscheidung revidiert.
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Zum Anhören: Patriotismus-Streit bei den Proms
Ein Beitrag von ARD-Korrespondent Torben Ostermann
Aktualisierung: Die BBC hat sich nun doch dazu entschieden, die Lieder zu singen. Mehr im unteren Bereich des Artikels.
Spielen ja, singen nein – lautet in aller Kürze die Antwort, mit der die BBC auf die Diskussionen der vergangenen Wochen reagierte. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste der letzten Monate wurde auch die Kolonialgeschichte des Vereinigten Königreichs, der britische Imperialismus und seine Spuren im 21. Jahrhundert zum Gegenstand heftiger Debatten. In den Fokus rückten dabei auch die Gassenhauer, die traditionell bei der "Last Night of the Proms" angestimmt werden, darunter "Rule, Britannia!" und "Land of Hope and Glory".
Richard Morrison, einer der renommiertesten englischen Musikkritiker, hatte in einem Gastbeitrag für die BBC schon vor einem Monat dafür geworben, diese Lieder aus dem Repertoire der Proms zu entfernen. (Der "Spiegel" berichtete darüber in seiner Online-Ausgabe am 24. August.) "Jerusalem", "Rule, Britannia!" und "Land of Hope and Glory" formten eine unheilige Trinität, so Morrison. Sie seien Ausdruck eines primitiven Hurra-Patriotismus, der angesichts der momentanen Rassismus-Diskussionen völlig unangebracht sei. Nun sei es an der Zeit, "diesen peinlichen, anachronistischen Mischmasch nationalistischer Lieder, der die 'Last Night of the Proms' beschließt, loszuwerden." Eine Fürsprecherin fand Morrison dabei unter anderem in der diesjährigen Dirigentin der Proms: Auch die Finnin Dalia Stasevska plädierte laut Berichten der Times dafür, auf die Lieder zu verzichten. Corona biete dafür die ideale Gelegenheit. Immerhin falle das gemeinsame Singen coronabedingt sowieso aus. (Im Übrigen ist es nicht das erste Mal, dass Englands "inoffizielle Nationalhymne" in der Kritik steht. Aus dem Programm wurde sie schon einmal genommen, im Jahr 2001, nach den Anschlägen vom 11. September. Erst seit 2008 wird sie wieder regelmäßig gespielt.)
Daraufhin sah sich die 35-jährige Stasevska heftiger Kritik ausgesetzt. Nigel Farage, Protagonist der Brexit-Bewegung, schlug prompt vor, anstatt der inkriminierten Lieder doch einfach die Dirigentin zu "canceln". Weniger polemische, aber in ihrer inhaltlichen Ausrichtung ähnliche Töne kommen von Seiten der konservativen britischen Regierung. "Selbstbewusste, nach vorn schauende Nationen löschen ihre Vergangenheit nicht aus – sie fügen ihr etwas hinzu!", twitterte der amtierende Kulturminister Oliver Dowden. Regierungschef Boris Johnson ließ über einen Sprecher mitteilen, er glaube an die "Inhalte" der Stücke. "Symbole von Problemen" sehe er in ihnen nicht, zudem solle man in Großbritannien aufhören, sich auf so "peinliche" Weise für seine Geschichte und seine Kultur zu schämen. Auch der britische Musikjournalist Norman Lebrecht betont, "das Singen von "Rule, Britannia!" bei den Proms sei eine Tradition, die es seit über siebzig Jahren gebe. Und außerdem vereine das gemeinsame Singen die Nation. Der britische Boulevard sieht das Problem sowieso ganz woanders, nämlich bei der BBC. Dort hielten die falschen Leute die Hebel in der Hand, so die Sun. Mangel an Patriotismus und Desinteresse am Publikum, lautet die Diagnose der Skandalpresse.
Herrsche, Britannia! Britannia beherrsche die Wellen / Briten werden niemals Sklaven sein!
Das Stück wurde 1740 geschrieben, sagt Wasfi Kani, Vorsitzende der Pimlico Opera. Großbritannien war damals im Sklavenhandel aktiv. Und die Textzeile "Briten werden niemals Sklaven sein", beinhalte die Aussage, Angehörige anderer Völker könnten hingegen durchaus versklavt werden.
Mit der salomonischen Entscheidung, die Lieder nur in einer Instrumentalversion aufzuführen, hatte sich die BBC Ende August gewissermaßen zwischen die Frontlinien gestellt. Kein besonders bequemer Ort. Und so entschied man sich wieder um: Wie der Sender am 2. September berichtet, sollen "Rule, Britannia" und "Land of Hope and Glory" nun doch gesungen werden.
Die BBC erklärte, ihre ursprüngliche Entscheidung, die Lieder nicht zu singen, sei nicht wegen ihrer Texte getroffen worden, sondern wegen Corona-Beschränkungen, die Massenchöre unmöglich machten. In Folge der Kritik habe man sich aber nun dafür entschieden, dass einige ausgewählte Chorsänger die Stücke live vortragen. "Die Texte werden im Saal gesungen, das Publikum kann – wie wir es immer betont haben – gerne von zuhause aus mitsingen", heißt es in der Erklärung. Politiker der beiden großen britischen Parteien begrüßten die Entscheidung. Nach Ende der Corona-Pandemie sollen wohl beide Stücke wieder gespielt und gesungen werden.
Sendung: "Leporello" am 25. August 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 03.September, 17:41 Uhr
Bruno Bechthold
Proms BBC
Natürlich müssen beide Werke gespielt und gesungen werden.