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"Figaro" in Berlin Slapstick statt Tiefgang

Fürs eigene Haus hat Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm Mozarts Komödien-Klassiker nun bereits zum dritten Mal inszeniert. Mit dem Dirigenten Gustavo Dudamel im Team und Mozart-Stars wie Ildebrando D'Arcangelo, Dorothea Röschmann und Anna Prohaska. Uwe Friedrich war bei der Premiere.

Bühnenszene "Le nozze di Figaro", Staatsoper Berlin | Bildquelle: CMB

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Heftiger erotischer Überdruck bestimmt das Denken und Handeln des Pagen Cherubino auch in der Sommerfrische am Meer, in die Regisseur Jürgen Flimm und seine Bühnenbildnerin Magdalena Gut die Handlung des "tollen Tages" von Figaros Hochzeit verlegt haben. Das herrschaftliche Sommerhaus an der Düne hat schon deutlich bessere Tage gesehen, die Farbe bröckelt, die Türen der begehbaren Kleiderschränke schließen nicht mehr richtig und die Dienerschaft hält sich auch nur noch bedingt an die gräflichen Befehle. Es geht über Tisch und Bänke beziehungsweise Schrankkoffer und Strandkorb, diese Gesellschaft ist offensichtlich in Auflösung begriffen, es gibt nichts mehr, an das man sich halten kann. Das gilt für das vorrevolutionäre Frankreich genauso wie für die angeblich Goldenen Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, von denen sich Kostümbildnerin Ursula Kudrna inspirieren ließ.

Bühnenszene "Le nozze di Figaro", Staatstheater Berlin | Bildquelle: CMB Bildquelle: CMB Ganz ordentliche Voraussetzungen also für diese perfekte Komödie von Wolfgang Amadeus Mozart. Aber statt eine Mittsommersexkomödie mit Tiefgang zu inszenieren, verschenkt Jürgen Flimm das Stück umstandslos an Slapstick und possenhaftes Rumgehampel. Der Graf kämpft langwierig mit einem Sonnenstuhl oder klettert unbeholfen über einen fahrbaren Schrankkoffer, ein schneller Lacher ist Flimm mehr wert als die melancholischen Momente. Hier denkt man nur an den schnellen Erfolg: das Bühnenpersonal beim erotischen Hin und Her, der Regisseur beim Publikum. Die dunklen Seiten des Werks, Wut und Verzweiflung, die ja selbst im Sommerurlaub gelegentlich vorkommen sollen und für Mozarts Oper essentiell ist, interessieren Flimm nicht. Stattdessen wird jeder Witz ausgewalzt, bis ihn auch der letzte Zuschauer verstanden hat. Da reicht nicht ein zerbrochener Blumentopf als Beweis, dass jemand aus dem Fenster in die Rabatten sprang, der Gärtner muss gleich drei Schubkarren voller Blumenerde im gräflichen Salon ausschütten. Statt einer genau choreographierten Türenkomödie folgt dann ein affiges Hin und Her, bei dem die Logik schnell auf der Strecke bleibt.

Bühnenszene "Le nozze di Figaro", Staatstheater Berlin | Bildquelle: CMB Bildquelle: CMB Der Dirigent Gustavo Dudamel koordiniert die knifflige Partitur ganz achtbar, schlägt das richtige Tempo an und hält die Staatskapelle zumindest von allzu lautem Spiel ab. Ein Gespür für die Binnenspannung der Arien entwickelt er aber nie. Harmonische Wendungen passieren halt irgendwie, weil sie so in der Partitur stehen, eine innere Notwendigkeit haben sie nicht. Diese Musik will nie nach vorne, steht selbst in den turbulenten Szenen seltsam auf der Stelle. So wird der dramatische zweite Teil von "Dove sono" zur beinahe unüberwindlichen Hürde für Dorothea Röschmann, die sie nur mit viel Kraft nehmen kann. Ildebrando D’Arcangelos Graf entwickelt eine eher robuste Erotik, der die adrette Susanna der Anna Prohaska in keiner Sekunde erliegt.

Ausgerechnet Lauri Vasar als Figaro bleibt die ganze Aufführung hindurch blass, weder Liebe noch Eifersucht noch ganz großes Drama können ihn stimmlich aus der Reserve locken. Ein Abend, dessen Eindrücke genauso schnell verfliegen wie der Küstennebel über der Badedüne im vierten Akt. Hier finden sich dann doch noch die richtigen Liebespaare - und sie verzeihen einander. Alles halb so wild in der Sommerfrische. Beruhigt und heiter reist man wieder ab und hofft doch, dass der nächste Urlaub nicht so vorhersehbar verläuft.

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Weitere Infos und Termine zur Berliner Staatsopern-Aufführung von "Le nozze di Figaro" finden Sie auf den Seiten der Staatsoper Berlin.
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