Alle machen Janáček. Man muss nur mal einen Blick auf die jüngsten Premieren werfen: "Das schlaue Füchslein" in München, "Die Sache Makropulos" in Berlin, und nun "Jenůfa" in Wien. Tatsächlich zählt Leoš Janáček – neben Strauss und Puccini – zu den meistgespielten Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts. Doch was macht den tschechischen Komponisten so populär? BR-KLASSIK-Moderatorin Sylvia Schreiber hat sich darüber Gedanken gemacht.
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Seine Geschichten sind ein totales Kuddelmuddel: Füchse und Frösche reden, Typen hocken im Bierfaß, wer wen liebt, ist wie Schnitzeljagd im Irrgarten und gesoffen wird sowieso dauernd. Leoš Janáčeks Helden haben Namen, die man ohne super-elastische Zunge oder wenigstens einen Doktor in Westslawistik nur schwer aussprechen kann. Eigentlich müsste man also bei den Opern von Leoš Janáček sofort aussteigen: Danke, war nett, Sie kennenzulernen. Aber jetzt bitte wieder Puccini.
Nein, Janáček hat's definitiv nicht so mit Opern-Blockbustern. Er backt viel kleinere Brötchen, davon aber viele und – köstliche. Gefüllt mit Zwetschgenmus, mit Spätsommerhimbeeren und Zitronenmelisse. Bei Janáček wird einem bewusst, dass eine Oper nicht logisch sein muss. Und sowieso nie logisch ist.
Oder kapieren Sie die ganzen Liebschaften von Wotan? Verstehen Sie, wieso eine Schwindsüchtige das Lungenvolumen eines Marathonläufers hat, ehe sie nach dem hohen C niedersinkt? Bin ich, bräsig sitzend in meinem gemütlichen Opernsessel, etwa Feierabend-Pneumologin oder Psychoanalytiker?
Wer einmal Janáčeks Grillen aus dem Orchestergraben gehört hat, nimmt ihr Gezirpe in freier Wildbahn fortan als süßes Liedchen wahr. Was Janáček aus Sängerinnen und Sängern herausholt, ist nicht nur eine hübsche Arie – da muss nach Noten gelacht, geprustet, gejault, gejodelt, gezwitschert und gegluckert werden.
Janáček lenkt auf so einmalig behutsame Weise die Aufmerksamkeit auf den klingenden Mikrokosmos, auf das kleine Leid, auf den lahmen Flügel eines Adlers. Ohne dabei aber gleich mit Greenpeace gemeinsame Sache machen zu wollen. Vielmehr wechselt Janáček spätestens im übernächsten Atemzug mit einem süffigen Tremolo, mit einer fetten Pauke, einem Kieksen oder gesungenen Kichern die Perspektive, weg vom Kleinvieh. Hin zum Großen, dem selbstverständlichen Miteinander von Leben und Tod.
Es ist also völlig wurscht, ob man versteht, wovon die Oper handelt. Leoš Janáčeks ausgefuchste Musik erinnert an den Blick durch ein Kaleidoskop, diese Röhre mit den bunten Scherben im Inneren. Man kann es schütteln und immer wieder verändert sich das farbige Fenster. Was man dann wahrnimmt, ist irgendwie märchenhaft und dabei doch real. Man fühlt sich trunken und dennoch wach im Geist – und möchte Janáček mal kurz danke sagen. Oder auf Tschechisch: Děkuju!
Sendung: "Allegro" am 18. Februar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK