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"Les Indes Galantes" in Nürnberg Reise in exotische Liebeswelten

Liebe, Mythologie und ferne Länder. Jean-Philippe Rameaus Ballett-Oper "Les Indes Galantes" gilt heute als sein berühmtestes Bühnenwerk. Die Regisseurin Laura Sciozzi brachte es nun am Staatstheater Nürnberg auf die Bühne - und zog brisante Parallelen zur heutigen Welt.

Bildquelle: © Ludwig Olah

Premierenkritik

Rameaus "Les Indes Galantes" am Staatstheater Nürnberg

Eine schlüssige Handlung mit psychologischer Figurenführung ist nicht gerade das Anliegen einer französischen Ballettoper à la Rameau. Sie will mit Spektakel, Prunk, Überraschungseffekten und Tanzeinlagen glänzen. Unter dieser Maßgabe ist der italienischen Regisseurin und Choreographin Laura Scozzi am Staatstheater Nürnberg mal wieder eine durchweg unterhaltsame, witzige, kurzweilige, schwungvolle und charmante Inszenierung gelungen.

FKK-Party im Garten Eden

Schon der augenzwinkernde Prolog im Garten Eden ist ein echter Hingucker. Nicht nur wegen des grünen Dschungels inklusive Lianen und kleinem Wasserfall, sondern auch wegen der fünf nackten Tanzpaare, die Hébé, die Göttin der Jugend um sich versammelt hat. Deren Tänze, Spiele und Verführungen haben so gar nichts Obszönes, sondern den Anmut einer Party von FKK-Anhängern. Mit der Idylle der nackten Tatsachen ist eh bald Schluss, als Kriegsgöttin Bellone samt Gefolge eindringt, die Männer als Soldaten rekrutiert und das Paradies vom Zivilisationsmüll verwüstet und verwaist zurücklässt. Doch Gott Amor eilt Hébé zur Hilfe und schickt seine drei Amouretten mit der flugs gegründeten Airline Eden Voyage rund um die Welt, um Liebesgeschichten zu beobachten, in sie einzugreifen und neues Personal für den Liebesgarten zu akquirieren.

Mit ihrer slapstickhaften Körperkomik spielen sich Amors Sendboten sofort in die Herzen des Publikums. In der Türkei retten sie Flüchtlinge vor dem Ertrinken, die dann von dem Schlepper Osman abgezockt werden. Der ist in seine Gefangene Emilie verliebt, doch lässt Osman sie in einem Anfall von Großmut frei, als deren Geliebter Valère angespült wird. Das wiederum entzückt Emilie so, dass sie nun Osman liebt und zum Flüchtlingsretter umkrempelt.

Gekonntes Spiel mit Klischees

Laura Scozzi hat sich trotz des mythischen und historischen Stoffes entschieden, die globalisierte Welt von heute zu zeigen. So wird auf den folgenden Stationen der Weltreise aus dem Inkatempel in Peru eine Kokaindrogenküche am Machu Picchu. Das exotische Persien ersetzt Laura Scozzi durch den Iran von heute, in dem Frauenverachtung und Ganzkörperburkas das Bild beherrschen. Und aus den Indianern Nordamerikas werden Umweltaktivisten, die sich gegen die Abholzung der Wälder zugunsten von Luxushäusern wehren. Dabei spielt die Mailänder Regisseurin gekonnt mit Klischees und macht aus den Liebes- und Lebensdramen komische Farcen mit Happyends. Die Längen dieser dreistündigen Ballettoper spickt sie mit einem Feuerwerk an Spielideen, so dass keine Sekunde Langeweile aufkommen kann. "Les Indes Galantes" ist pralles Musiktheater im Geiste der Commedia dell'Arte.

Spagat zur Alten Musik

Die Solisten, allesamt in Doppel- oder Dreifachrollen, spielen das mit unglaublichem Schwung, ragen sängerisch aber nicht heraus. Dazu sind die Anforderungen an den französischen Barockgesang mit großen Freiheiten in Phrasierung und Verzierung und der Kunst, gleiche Noten nicht immer gleich lang zu singen, eben doch zu komplex und zu weit weg vom üblichen Repertoire. Der Chor, der hier zahlreiche Einsätze mit schnellen Kostümwechseln hat, macht seine Sache dagegen musikalisch überzeugender. Das Tanzensemble besticht immer wieder mit originellen Moves. Doch am eindrucksvollsten präsentiert sich die Staatsphilharmonie Nürnberg. Zwar wurde das Orchester, das eher bei Mozart, Verdi und Wagner zuhause ist, nicht über Nacht zu einem barocken Originalklangkörper. Doch gelingt Gastdirigenten Paul Agnew, der ein Spezialist für die französische Barockoper ist und als Tenor zahlreiche dieser Partien selbst gesungen hat, ein gelungener Spagat hin zur Alten Musik. Auch ohne Darmsaiten klingen die Streicher barock. Und die vielbeschäftigten Holzbläser sind einfach exzellent. Diese Nürnberger Inszenierung kann sich wirklich hören und sehen lassen. Barockoper völlig ohne Staub und voller Leben. Wer braucht bei so viel spritziger Unterhaltung noch eine schlüssige Handlung?

Link-Tipp

Alle Aufführungstermine sowie weitere Informationen zu Jean-Philippe Rameaus Ballett-Oper "Les Indes Galantes" finden Sie auf der Website des Staatstheaters Nürnberg.

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