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Erinnerungen an Mariss Jansons Wir waren so froh, als er kam

Vor fünf Jahren starb Mariss Jansons, einer der ganz großen Dirigenten seiner Zeit. Im Konzert verausgabte er sich emotional, im Gespräch blieb er bei aller Freundlichkeit meist in Deckung. Doch es gab sie: Momente, in denen er sich als Mensch rückhaltlos öffnete. BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff mit persönlichen Erinnerungen.

Mariss Jansons und das Symphonieorchester in Wien, 21./22. Oktober 2012 | Bildquelle: Dieter Nagl

Bildquelle: Dieter Nagl

Wir waren so froh, als er kam. Nach dem kühlen, oft auch ein bisschen abgekarteten Perfektionismus von Lorin Maazel war Mariss Jansons das, wonach wir beim Bayerischen Rundfunk gedürstet hatten. Einer, von dem beim Musizieren Herzlichkeit ausging. Seine Körpersprache war längst nicht so lässig effizient wie die von Maazel, aber sie hatte etwas Umarmendes – auf angenehme, weil glaubwürdige Weise. Natürlich, auch Jansons hatte seine Posen, wie jeder Bühnenmensch, etwa beim Verbeugen. Aber im Posieren war er nicht mal besonders gut. Gerade deswegen war er so sympathisch. Gerade deswegen spürte und glaubte man, wenn er in der Musik drin war, die menschliche Wärme. Die nach oben geöffneten Hände, der zugleich konzentrierte und verzückte Blick – wenn er musizierte, kam das einfach spontan aus ihm raus, weil die Musik in ihm drin genau das mit ihm machte. Und, das Wichtigste: Man hörte es.

Mariss Jansons, ein Holocaust-Überlebender

Aber das war auf der Bühne. Im Interview kam man nicht so leicht an ihn ran. Jansons war ein ziemlich misstrauischer Mensch. Er hatte ja Grund dazu, nicht nur als ehemaliger Sowjetbürger. Zwar war er als im Westen erfolgreicher Künstler privilegiert, aber er hatte auch die üblen Schikanen des Systems abgekriegt. Und, worüber kaum jemand sprach, er selbst am wenigsten: Jansons war ein Überlebender des Holocaust, Sohn einer jüdischen Mutter. 1943 musste sie ihn in seiner Heimatstadt Riga in einem Versteck zur Welt bringen. Seine Großeltern und seine Tante wurden von Deutschen ermordet.

Mariss Jansons auf BR-KLASSIK

Am 1. Dezember 2024 jährt sich der Todestag von Mariss Jansons zum fünften Mal. BR-KLASSIK ehrt den ehemaligen Chefdirigent von Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks in mehreren Sondersendungen.

Gespräche bei Obst und Schokolade

Mariss Jansons | Bildquelle: picture-alliance/dpa / Ronald Zak Mariss Jansons war in Gesprächen mit Journalisten stets freundlich, blieb aber zurückhaltend. | Bildquelle: picture-alliance/dpa / Ronald Zak Freundlich war er zu Journalisten immer, aber auf Deckung bedacht. So leicht machte Jansons im Gespräch nicht auf. Als ganz junger Journalist durfte ich mehrere lange Gespräche mit ihm führen, mit ihm und dem Orchester auf Reisen gehen, seine Jugendkonzerte moderieren. Bis man endlich den Termin hatte, war immer ein Riesenanlauf. Einmal habe ich fast einen halben Tag gewartet, bis ich endlich in seinem Hotelzimmer vorgelassen wurde. Dann gab es frisches Obst und Schokolade: "Nehmen Sie, bitte, nehmen Sie doch mehr!" Und manchmal, im Zugabteil konnte das sein oder im Künstlerzimmer in Edinburgh, manchmal kam das Gespräch auf die heiklen, aber auch menschlich berührenden Themen. Dann erzählte er von seiner Mutter, die die deutsche Musik, Sprache und Kultur liebte, trotz der Greueltaten an ihrer Familie durch die Nazis. Sie bat ihren Sohn etwa, Kreuzworträtsel auf Deutsch mitzubringen. "Ich habe ihr tausende mitgebracht, und sie hat sie auf Deutsch zu Hause gelöst."

Jansons über schlechte Beziehung zwischen Russland und dem Westen

Oder wenn Jansons erzählte, wie sehr seine Eltern schockiert waren, als Stalin in den 1950er Jahren jüdische Ärzte in antisemitischen Schauprozessen zum Tod verurteilen ließ. Oder wenn er, 2017 war das, über die zunehmend schlechteren Beziehungen zwischen seiner Wahlheimat Russland und dem Westen sprach. Wie könne man von menschlichem Fortschritt sprechen, wenn es im 21. Jahrhundert immer noch Krieg gebe, fragte er.

Oder wenn er gestand, dass er langsame Tempi erst nach seinem Herzinfarkt wirklich genießen konnte. In solchen Momenten kam der Mensch Jansons aus der Deckung – so offen, wie er sich sonst nur beim Musizieren zeigte. Aber es waren nicht immer nur die ernsten Themen. Jansons hatte auch eine jungenhafte Seite, die im Kontrast zu seinem Ehrgeiz umso charmanter wirkte. Da war etwa sein Hund. Kurz vor dem Gespräch hatte oft er noch den kleinen Micky im Arm. Und mit dem war er schier narrisch. "Wenn wir auf der Straße sind, will ihn jeder küssen", schwärmte Jansons. Sein Micky bringe ihm positive Energie. "Er ist so wie ein Lieblingskind! Manche denken vielleicht: Nun, dieser Jansons ist verrückt geworden!"

Sendung: "Allegro" am 29. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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