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Kritik – Meyerbeers "Le Prophète" in Linz Hauptsache Erleuchtung

An Heilsbringern herrscht heutzutage kein Mangel, an Propheten aller Art auch nicht, und politische Prediger sind dank Twitter ebenfalls allgegenwärtig. Es ist fast schon unheimlich, wie Giacomo Meyerbeer vor 170 Jahren den Charakter solcher Führungspersönlichkeiten erfasste: Sie alle lieben den Zirkus, das große Spektakel, und deshalb ist die "Grand Opéra", die große französische Oper auch das ideale Mittel, um Auf- und Abstieg dieser Herrscherfiguren zu zeigen. Alexander von Pfeil gelingt am Landestheater Linz eine schlüssige Deutung von Meyerbeers "Prophète"; Premiere war am 22. September.

Bildquelle: Barbara Palffy

Die Kritik zum Anhören

Bei Meyerbeer geht es vordergründig um die Wiedertäufersekte des 16. Jahrhunderts, die damals den Niederrhein und Münster unsicher machte, tatsächlich aber um die Pariser Revolution von 1848, die der Komponist als Augenzeuge miterlebte. Regisseur Alexander von Pfeil interessierte am Landestheater Linz aber weder das eine noch das andere, sondern der Prophet als solcher, wie er zufällig in diese Rolle hineingeworfen wird, daran allmählich wächst, schließlich überschnappt, sich für gottgleich hält und irgendwann schmählich scheitert. Das kann überall dort passieren, wo Menschen unzufrieden sind, wo sie empfänglich sind für Hass und Erleuchtung und die schnelle, utopische Lösung herbeisehnen.

Maschinengewehre und billiger Schnaps

Meyerbeers "Le Prophète" in Linz – Szenenfoto | Bildquelle: Reinhard Winkler Meyerbeers "Le Prophète" in Linz – Szenenfoto | Bildquelle: Reinhard Winkler Bühnenbildner Pietro Vinciguerra hatte eine Art Gasometer entworfen, ein düsteres, kreisrundes Gestänge, in dem das Volk zunächst von einer bizarren Hautevolee unterdrückt und mit Maschinengewehren und billigem Schnaps ruhig gehalten wird. Der Aufstand ist unvermeidlich, der Prophet schnell gefunden, denn irgendjemand sieht immer aus wie König David auf einem Altarbild. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. In Linz ist das durchgehend in nächtliches Dunkel getaucht. Nicht mal, als der ganze Laden in die Luft fliegt, wird's richtig hell. Warum auch: Dieser Prophet hat finstere Botschaften, seine Methoden sind rabiat, seine Führungscrew skrupellos.

Der großen Sache zuliebe

Gut, das Alexander von Pfeil diese Geschichte in die Gegenwart holt, ohne sie deshalb konkret zu verorten, also in irgendeinem wiedererkennbaren Land spielen zu lassen – so bleibt der "Prophet" optisch so universal, wie er inhaltlich ja ist. Dadurch verlor die Interpretation zwar an satirischem Biss, blieb aber nah an der Vorlage. In der Oper geht es letztlich weniger um Religion oder Politik als um die alte Frage, ob der Revolutionär gleichzeitig Mensch bleiben kann oder sich zwischen Utopie und Mitgefühl entscheiden muss. Ungemein hellsichtig beschreibt Meyerbeer diesen Konflikt, sein Prophet sagt sich von Mutter und Geliebter los, der großen Sache zuliebe. Ausschließlich Revolutionär zu sein, jedes Gefühl in sich abzutöten, daran scheitert er aber. So ein Stoff hätte auch von Heiner Müller sein können.

Die große Fahrt ins Ungewisse

Meyerbeers "Le Prophète" in Linz – Szenenfoto | Bildquelle: Reinhard Winkler Meyerbeers "Le Prophète" in Linz – Szenenfoto | Bildquelle: Reinhard Winkler Wie der Name schon sagt, muss Große Oper unweigerlich angemessen aufwändig auf die Bühne kommen, um ihre Wirkung zu entfalten. Chor, Extrachor, Kinderchor und Statisten füllten denn auch fast durchgehend die riesige Bühne im sehr großzügigen Linzer Landestheater – an Opulenz fehlte es nicht. Alexander von Pfeil orientierte sich szenisch immer wieder an dem berühmten Bild "Das Floß der Medusa" von Théodore Géricault. Schiffbrüchige auf ein paar Holzplanken treiben dort hilflos im Ozean, die eine Hälfte gibt sich auf, die andere winkt einem Schiff am Horizont zu, das auch eine Fata Morgana sein könnte – eine Anklage, ein Hoffnungsschimmer, ein Hilfeschrei. Flöße liegen denn auch auf dem Boden der Linzer Bühne, und der Prophet versammelt seine Jünger zur großen Fahrt ins Ungewisse.

Sehr schlüssige Deutung

Dirigent Markus Poschner gefiel hörbar der Tanzrhythmus bei Meyerbeer, der ja auch reichlich Ballettmusik einstreute, obwohl in Linz keine Tänzer dabei waren. Gelegentlich geriet das Klangbild arg ins Schunkeln: nah an der Operette, offenbar, um den schweren Stoff so unterhaltsam wie möglich zu servieren. Etwas mehr aufgeraute, kontrastreichere Passagen hätten nicht geschadet. Unter den Solisten ragte Katherine Lerner als Fidès, die Mutter des Propheten heraus. Jeffrey Hartman in der Titelrolle gab sein Bestes, spektakulär im eigentlichen Sinne war seine Stimme aber nicht. Insgesamt eine sehr schlüssige Deutung von Meyerbeers "Propheten" und höflicher, wenn auch nicht begeisterter Applaus des Publikums.

"Le Prohète" am Linzer Landestheater

Informationen zu Termienen, Besetzung und Vorverkauf erhalten Sie auf der Homepage des Landestheaters.

Sendung: "Leporello" am 23. September 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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