Das Publikum hielt es nicht mehr auf den Sitzen: Das Gärtnerplatztheater landete einen Riesen-Erfolg mit Frederick Loewes Musical über einen fiesen Phonetik-Professor. Die Optik war traditionell, das Amüsement groß.
Bildquelle: © Marie-Laure Briane
Die vielen Fans von den Musicals im Londoner West End werden hierzulande ja selten glücklich. So professionelles, rasantes, opulentes Unterhaltungstheater können und wollen sich die wenigsten deutschen Bühnen leisten. Dazu gehören nämlich enorm viel Erfahrung vor und hinter der Bühne, sowie die entsprechenden Darsteller, vor allem aber der Wille zur Perfektion statt zur Interpretation.
Im kommerziellen britischen Theater wollen sich die Zuschauer amüsieren, was in Deutschland offiziell als altmodisch gilt, inoffiziell allerdings schmerzlich vermisst wird. So gesehen landete das Münchener Gärtnerplatztheater gestern Abend, zum Faschings-Kehraus, mit "My Fair Lady" einen Volltreffer. Das Publikum raste vor Begeisterung, bejubelte die Darsteller mit einem Klatschmarsch und stehenden Ovationen, und das will bei verwöhnten, eher älteren und gesetzteren Premieren-Abonnenten etwas heißen.
Intendant und Regisseur Josef Köpplinger zeigte einmal mehr, dass er sein Handwerk versteht: Ja, so zugkräftig inszeniert hätte "My Fair Lady" auch in London Erfolg, und das ist ein Lob, das sich das gesamte Gärtnerplatztheater hart verdient hat - das Orchester, Chor und Ballett, die Solisten, nicht zuletzt die Bühnentechniker, die dafür sorgten, dass alle Umbauten schnell und geräuschlos abliefen. Normalerweise sind dafür eine Reihe von Voraufführungen nötig, die das Gärtnerplatztheater nicht hatte.
Natürlich waren das Bühnenbild von Rainer Sinell und die Kostüme von Marie-Luise Walek traditionell, wenn jemand darunter breite Hüte, Rüschen-Roben und Gehröcke versteht. Optisch ließ Josef Köpplinger somit alles im London der Zeit um 1900, als Autoren wie Oscar Wilde noch provokant waren und der Adel tatsächlich nur über das Wetter, Pferde und öffentliche Gesundheitsfragen plauderte. So bebildert, mit Grammophon, Bibliothek und gemalter Ziegelfassade, hätte "My Fair Lady" ohne Weiteres auch 1956 bei der Uraufführung in New York aussehen können - aber eben auch so mitreißend, so überzeugend.
Higgins Soviel gute Laune zum Faschings-Abschluss, das machte geradezu dankbar. Dirigent Andreas Kowalewitz schunkelte das aufgekratzte Publikum förmlich aus dem Saal. Diese Produktion dürfte ein spektakulärer Selbstläufer werden, für die sich die Anreise lohnt. Der fernsehbekannte Salzburger Michael Dangl ist ein herrlich schnoddriger, arroganter und liebenswerter Professor Higgins, die Oberösterreicherin Nadine Zeintl eine leidenschaftliche Eliza Doolittle mit viel Schmäh und Lust am derben Klamauk. Selten zu erleben ist so viel Sprechkultur, soviel ehrliches Schauspieler-Handwerk, so wortverständlicher und glaubwürdiger Gesang. Großartig auch Kammerschauspieler Robert Meyer als trinkfester und tanzfreudiger Vater Doolittle, sowie der ebenfalls fernsehpräsente Friedrich von Thun als Oberst Pickering, wenn er auch seine kurze Sprechgesangspartie etwas mühsam hinter sich brachte.
15., 25. Februar und 2. März - weitere Infos finden Sie auf gaertnerplatztheater.de
Erwartbaren Sonderapplaus gab es für Cornelia Froboess als Mutter Higgins, wenngleich sie überraschend unauffällig spielte. Da wäre mehr komödiantische Energie möglich gewesen. Maximilian Mayer als liebeskrankem Freddy flogen alle Herzen zu, nachdem er vor Sehnsucht fast einen Laternenmast umtanzte. Mag sein, dass "My Fair Lady" anderswo aktueller aussieht, dass hier jeder Kommentar zum Geschlechterverhältnis fehlte, dafür ist der Abend über knapp drei Stunden ein fröhlicher Genuss, ein Spaß, ein Vergnügen. Wer von einem Musical mehr erwartet, wird´s in London auch nicht finden.
Sendungen:
"Allegro" am 14. Februar 2018, 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK