Christian Thielemann schlägt gegenüber Andris Nelsons freundschaftliche Töne an. Streit? Von wegen! Aus Festspielkreisen hieß es, der lettische Dirigent sei mit geplanten Umbesetzungen nicht einverstanden gewesen. Jetzt kontert Festspielchefin Katharina Wagner.
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Als am Wochenende ein großes Interview mit Christian Thielemann in der Süddeutschen Zeitung erschien, reagierten viele Bayreuth-Beobachter mit Skepsis. Allzu harmonisch erschien Thielemanns Darstellung der Ereignisse. Nie habe es ein Zerwürfnis zwischen ihm und Andris Nelsons gegeben, versicherte er. Er schätze ihn sehr, sei mit ihm sogar "fast befreundet", was in den sozialen Medien prompt mit sarkastischen Kommentaren bedacht wurde. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass sich an Thielemann die Geister scheiden.
Katharina Wagner und Christian Thielemann | Bildquelle: Marc Müller, picture-alliance/dpa Nun jedoch stützen Insider gegenüber BR-KLASSIK auch Thielemanns Version. Hauptgrund für Nelsons' plötzliche Abreise, so heißt es aus gut informierten Kreisen, sei nämlich keineswegs Streit mit Thielemann, sondern Uneinigkeit mit der Festspielleitung in Besetzungsfragen. Es gehe dabei um Sänger, die noch Eva Wagner, die Halbschwester der mittlerweile allein verantwortlichen Festspielleiterin Katharina Wagner, verpflichtet habe. Thielemann habe sich Katharina Wagners Bedenken gegenüber den betroffenen Solisten angeschlossen, Nelsons und der Regisseur Uwe Eric Laufenberg aber wollten an den kritisierten Sängern festhalten. Katharina Wagner versicherte BR-KLASSIK allerdings am Mittwoch, dass sie hundertprozentig hinter der gegenwärtigen Besetzung stehe. Es werde laut der Festspielchefin auch keine Änderung geben. Während der Proben habe sie mit Dirigent Andris Nelsons in einem "völlig normalen Austausch" über die Sänger gestanden - damit rückt Thielemann wieder in den Fokus. Egal wen man fragt, jeder benennt einen anderen Schuldigen.
Zahlreiche Medien, darunter auch BR-KLASSIK, hatten zunächst vermutet, der Grund für Nelsons' plötzliche Abreise habe in musikalischen Meinungsverschiedenheiten mit Thielemann gelegen. Und tatsächlich habe sich Nelsons, so schildern es Beobachter, gelegentlich über Thielemanns allzu direkte Rückmeldungen geärgert. Dazu muss man wissen, dass in Bayreuth der Orchestergraben ungewöhnlich tief und mit einer speziellen, von Richard Wagner erdachten Schallblende abgedeckt ist. Deshalb wirkt die Klangbalance für die Ohren des Dirigenten völlig anders als im Zuschauerraum. Außerdem kann der Dirigent wegen der Bauweise des Festspielhauses auch die Sänger deutlich schlechter hören als in einem "normalen" Opernhaus. Bayreuth-Dirigenten sind deshalb angewiesen auf Rückmeldungen von Vertrauenspersonen. Thielemanns Rat sei nicht zuletzt deshalb eigentlich hoch willkommen bei Nelsons. Allerdings sei es ihm, so erzählen mehrere Zeugen, gelegentlich "auf die Nerven gegangen", wenn Thielemann und andere Personen ihre Kritik direkt an die beteiligten Musiker weiter gegeben hätten, ehe sich Nelsons ein eigenes Bild machen konnte. Trotzdem sei Thielemann für Nelsons nach wie vor eine Autorität in Sachen Wagner-Klang. Die kollegiale Wertschätzung der beiden Stardirigenten, die ja auch Thielemann gegenüber der Süddeutschen hervorhob, scheint also durchaus wechselseitig zu sein.
Hauptgrund für Nelsons' Abreise war demnach also nicht Irritation über Thielemanns manchmal undiplomatisches Feedback, sondern die von der Festspielleitung geplante Umbesetzung gegen den Willen von Dirigent und Regisseur. Sollte man in dieser Frage zu einer Einigung kommen, so die Einschätzung eines nahen Beobachters gegenüber BR-KLASSIK, sei möglicherweise sogar Nelsons' Rückkehr nicht völlig ausgeschlossen.
Wer weiß, vielleicht lässt sich die verfahrene Situation ja doch noch kitten - zum Beispiel durch offene und konstruktive Kommunikation. Natürlich gibt es Alternativen zu Nelsons. Die Auswahl an Bayreuth-erfahrenen Dirigenten mit einigermaßen großem Namen, die Zeit und Lust zum Einspringen haben, dürfte allerdings begrenzt sein. Sicher ist, dass Nelsons sich wahnsinnig darauf gefreut hatte, den Parsifal in der ganz besonderen Akustik des Festspielhauses aufzuführen. Schließlich hat Wagner das Werk speziell für Bayreuth komponiert. Dass es für Nelsons ein Traum ist, diese Partitur im Festspielhaus zum Leben zu erwecken, daran dürfte sich nichts geändert haben.
Kommentare (2)
Freitag, 08.Juli, 14:39 Uhr
W. Viereck
"Fast befreundet"...
- dieser Ausspruch von Thielemann ist leider deutlicher, als er es vielleicht hätte haben wollen...
Dienstag, 05.Juli, 18:23 Uhr
specknermichi
'Nexit'...
Diese alljährlich wiederkehrende egomanische Selbstbefriedigung mit Theater ums Theater in Bayreuth wird allmählich etwas fad: Die Protagonistinnen und -isten könnten sich wirklich mal etwas anderes einfallen lassen, um im Gespräch zu bleiben...