Zwei Folgen hatte die Uraufführung von Jacques Offenbachs Kurz-Operette "Ba-Ta-Clan" im Jahr 1855: Der Komponist feierte damit einen Riesenerfolg. Und zehn Jahre später benannte sich ein Pariser Vergnügungsetablissement nach der Operette. Am 13. November 2015 starben dort bei einem Terroranschlag neunzig Menschen. Das kann niemand vergessen, der das Stück heutzutage auf die Bühne bringt. Geht das überhaupt, ein heiteres, ironisches Singspiel mit dem Gedenken an die Opfer in Einklang zu bringen? Regisseur Frieder Kranz hatte vor der Premiere am Deutschen Theater am 10. März erhebliche Zweifel.
Bildquelle: Jean Marc Turme
Kritik zum Anhören
"Ich hatte eine Menge Material, und im Dezember habe ich gedacht, diesmal bekommst du das Material nicht zusammen", resümiert Frieder Kranz. "Wie soll man das schaffen - irgendwie? Zuerst dachte ich, wir machen das mit dem Attentat nicht, aber das geht gar nicht! Dann haben wir versucht, das zu bauen und zu basteln, und schließlich kam meine Dramaturgin mit dem Buch von Antoine Leiris, das man ja nicht lesen kann, ohne dass einem ständig die Tränen fließen - gerade, weil es so unsentimental und so direkt ist. Da wusste ich: Ich will das irgendwie einbauen".
Und so lakonisch und unsentimental wie das ganze Buch von Antoine Leiris mit dem berühmt gewordenen Titel "Meinen Hass bekommt ihr nicht" war denn auch die eingeschobene Lesung aus einem von ihm damals gesendeten Facebook-Post. Leiris verlor beim Attentat seine Frau, das gemeinsame Baby wurde dadurch zur Halbwaise. Eine erschütternde Geschichte, wie auch die aller anderen Opfer, aber das Bataclan wurde bekanntlich genau ein Jahr nach dem Massaker wieder eröffnet - 2016, mit einem Konzert von Sting. Bei Jacques Offenbach tanzen und singen die Darsteller, obwohl ihnen in einem fiktiven China, womit in Wahrheit das damalige Frankreich gemeint war, die Todesstrafe droht.
Es gab dieses Attentat, aber die Geschichte ist größer und das Leben ist stärker als das. Darum geht es letztlich.
Offenbachs "Ba-Ta-Clan" am Deutschen Theater München: Julian Schier als Ko-Ko-Ri-Ko | Bildquelle: Jean Marc Turme Beeindruckend, wie die vier Studenten der Bayerischen Theaterakademie diese eigentlich unmögliche Mini-Operette stemmen. Joana Lissai, Lean Fargel, Chris Young und Julian Schier sind gerade durch ihre Jugend besonders geeignet, den schwierigen Spagat zwischen Unterhaltung und Erinnerung zu meistern, denn junge Menschen stehen für eine bessere Zukunft, für Toleranz, für Aufbruch und Erneuerung. Und so singen, tanzen und steppen sie sich durch Offenbachs bizarre und mutige Abrechnung mit der französischen Republik, die die Armen immer ärmer, die Reichen reicher machte. Aktuelle Bezüge sind mit Sicherheit kein Zufall.
Klar, Offenbach lässt seine Darsteller auch noch in Todesangst satirisch den Choral singen: "Ein feste Burg ist unser Gott". Nicht Luther sollte damit zum Gespött gemacht werden, sondern der damals äußerst populäre Groß-Komponist Giacomo Meyerbeer. Seine "Hugenotten" singen den Choral, bevor sie in der gleichnamigen Oper ermordet werden - jetzt, nach dem Attentat auf das Bataclan, ist das längst keine Satire mehr, sondern ein Fanal.
"Wenn wir auf der Bühne anfangen zu leiden, dann heulen die Zuschauer nicht", sagt Frieder Kranz. "Ich will auch gar nicht, dass die Zuschauer während der Vorstellung weinen. Ich will, dass sie nach Hause gehen und sich vielleicht an diesen Moment später noch einmal erinnern. Die Trauer gehört genauso zum Leben wie die Freude, und wenn die Zuschauer einmal geschluckt haben und einmal gelacht, dann haben wir schon viel geschafft."
Es gibt weitere Vorstellungen am 16., 17., 23. und 24. März 2018
Informationen zu den Beteiligten und zum Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Deutschen Theaters München.