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Die Zukunft der Operette Der Nachwuchs packt an

Tabubrüche und ein gewisser Überschwang. Das war es, was das Operetten-Genre einst ausmachte. Doch die meisten jungen Musiker können heute mit Operette kaum noch etwas anfangen. Workshops und Preise sollen das ändern.

Auszeichnung an der Staatsoper Hannover | Bildquelle: Thomas M. Jauk

Bildquelle: Thomas M. Jauk

Mit Lust bei der Sache: Der 27-jährige Martin Berger hat für die Staatsoper Hannover die Fledermaus inszeniert.

In den Hochschulen taucht das Thema "Operette" eher am Rande auf. Später, im Theaterbetrieb muss jeder dann alleine sehen, wie er mit den speziellen Herausforderungen des Genres zurecht kommt. Das gilt für Sänger und Musiker - aber leider auch für die Dirigenten.

Aber wie sollen Musiker Partituren für tanzende Sänger und singende Tänzer umsetzen, wenn der Dirigent eigentlich gar nicht so genau weiß, wie er vorgehen soll? Das Problem ist bekannt. Sogar der Deutsche Musikrat spricht vom "oftmals vernachlässigten Genre Operette". Für Abhilfe sorgen will - seit 2009 - eine Kooperation der Musikalischen Komödie Leipzig und der Deutsche Musikrat. Zusammen stemmen sie den jährlich stattfindenden "Operettenworkshop Junge Dirigenten" und den "Deutschen Operettenpreis für junge Dirigenten". Der Workshop findet dieses Jahr vom 5. bis 9. Januar statt. Er endet mit einem Wettbewerbskonzert in der Musikalischen Komödie Leizig.

BR-KLASSIK berichtet

Der MDR überträgt das Wettbewerbskonzert der jungen Dirigenten vom 9. Januar 2016 live - BR-KLASSIK ist Kooperationspartner und berichtet am 3. und 10. Januar in der Sendung "Operetten-Boulevard", jeweils ab 21.05 Uhr.

Preisträger im Interview

Ebenfalls als Ansporn für den Nachwuchs gibt es seit diesem Jahr den Karan-Armstrong-Preis. Benannt nach der amerikanischen Sängerin Karan Armstron, langjährige Muse und Gattin des Opernregisseurs Götz Friedrich. Verliehen wird der Preis von der Götz-Friedrich Stiftung, und heuer - zum ersten Mal - an der Deutschen Oper Berlin an den Regisseur Martin Berger. Für seine Inszenierung der Johann-Strauß-Operette "Die Fledermaus" an der Staatsoper Hannover. BR-KLASSIK hat Martin Berger zum Interview getroffen.

BR-KLASSIK: Herzlichen Glückwunsch zum Karan Armstrong-Preis. Wofür haben Sie den denn gekriegt?

Martin Berger | Bildquelle: Martin Berger Martin Berger | Bildquelle: Martin Berger Martin Berger: Es wurde explizit gelobt, dass ich mit der Oberflächlichkeit der Menschen und ihrer Haltung gespielt habe. Dass ich das, um was es in dem Stück geht, gut wiedergespiegelt habe. Karan Armstrong hat mir den Preis persönlich überreicht. Und sie hat in ihrer Begründung gesagt, dass sie sich besonders freut, weil die "Fledermaus" Götz Friedrichs - also ihres verstorbenen Mannes - Lieblingsoperette war. Und meine Inszenierung ihm gefallen hätte.

BR-KLASSIK: Dieser Preis ist zum allerersten Mal verliehen worden – und gleich an jemanden, der bei seiner ersten Operetteninszenierung im Großen Haus in Hannover erst 27 Jahre alt war.

Martin Berger: Sicherlich war das ein Risiko für Intendant Michael Klügel jemand so jungen 'ran zu lassen. Und ich freue mich sehr, dass dieser Preis jetzt endgültig auch diesen Mut belohnt hat. Im besten Fall sollte Operette aber wahrscheinlich gerade von jungen Leuten gemacht werden. Denn ursprünglich war die Operette ja ein sehr junges Genre, in dem kleine Frechheiten versteckt waren. Ein Genre, das unglaublich tabulos war, mit einem gewissen Überschwang und einer Grundintensität, die eigentlich sehr jung ist.

Die "Fledermaus" lebt von universellen Konflikten

BR-KLASSIK: Aber was 1910 ein Tabu oder ein Affront war, das ist heute keiner mehr und man lächelt darüber. Und Sie müssen das ja 100 Jahre weiter denken.

Martin Berger: So ist es! Ich finde, es ist eine Hauptaufgabe bei fast allen Stücken, ob es nun Operette ist oder nicht, sich wirklich zu fragen, warum spiele ich das gerade jetzt - in diesem Moment. Und inwiefern ist der Konflikt, der darin vorkommt, für mich jetzt relevant? In der "Fledermaus" hat man die beiden supermenschlichen Pole: "Sicherheit, Klarheit, Struktur" und "Freiheitsdrang, absolute Individualität und Ausleben der individuellen Wünsche". Im ersten Akt hat man eine sehr sichere Welt. Und man merkt, keiner kommt mit dieser sicheren Welt klar, jeder will da raus, alle sind todunglücklich. Und dann kippt das Ganze rüber in eine Party, wo alle völlig frei drehen. Und wo man dann im dritten Akt dann plötzlich merkt: Ups, das ist aber nicht das, was wir jeden Tag hinbekommen. Wir haben gar nicht die Kraft, unsere individuellen Wünsche und unsere Freiheit auszuleben. Wir brauchen auch die Sicherheit aus dem ersten Akt. Wir brauchen auch die Stukturen! Und das ist das, was mich an dem Stück von Anfang an fasziniert hat, weil ich mich da selber – und ich glaube viele Menschen – total wiederfinde. Wir möchten frei sein und wir möchten uns ausprobieren, Sex haben mit vielen Menschen, und wir möchten rausgehen in die Welt und wir möchten uns betrinken und eine Rausch erleben - und wir möchten auf der anderen Seite, dass uns jemand abends in den Arm nimmt. Und dass wir auch ganz genau wissen, wo wir zuhause sind und wo wir wohnen. Und wir möchten gerne unser Geld jeden Monat aufs Konto haben. Und das sind beides Dinge, die fast unvereinbar sind. Und deswegen fiel es mir gar nicht schwer, in der Fledermaus Konflikte wiederzufinden, die in jeder Zeit funktionieren.

Ich habe mich drauf eingestellt, dass mich die Leute ausbuhen werden

BR-KLASSIK: Wie hat denn das Publikum auf ihre Inszenierung reagiert?

Martin Berger: Es war sehr interessant. Ich habe mich natürlich monatelang drauf eingestellt, dass mich die Leute ausbuhen werden. Ich habe das fest eingerechnet. Weil das ja oft so ist, dass in der Oper die Menschen auch schon bei kleinen Veränderungen sehr unwirsch reagieren können. Einige, die sehr traditionell sind. Ich glaube, wir waren relativ geschickt. Wir decken nämlich beide Seiten ab. Es geht nicht ums Belehren. Ich belehre niemanden darüber, dass es ganz wichtig ist, seine Freiheit zu leben. Oder dass es ganz wichtig ist, doch ein Spießer zu sein. Weil ich beide Seiten verstehe. Weil ich übrigens auch die Traditionen von dem Stück liebe! Und die ganze Produktion wurde dann bei der Premiere sehr; sehr freundlich aufgenommen, es gab kein einziges Buh!

BR-KLASSIK: Wie sind Sie denn zur Operette gekommen? Haben Sie die jetzt "learning by doing" entdeckt?

Martin G. Berger: Ich bin aufgewachsen in einem Haushalt, in dem die einzige Popmusik, die gespielt wurde, Max Raabe-CDs und die Prinzen waren. Ich kenne ungefähr 100 Schlager der 30er Jahre auswendig. Dadurch bin ich geprägt. Ich habe auch viel Musical gemacht und geliebt, und bin dann an einen Punkt gekommen, wo ich dachte: wir Deutschen können ja nicht unser Leben lang dem Musical hinterherrennen, das die Amerikaner sowieso besser machen als wir. Was ist eigentlich unsere Identität? Und so bin ich auf die Operette gekommen - und habe auch mit einem Kollegen ein momentan leider noch in den Schubladen schlummerndes Stück verfasst. Eine Operette über Paul Abraham im Stile von Paul Abraham.

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