Was ist nur los ist mit Peter Grimes, diesem mal gewalttätigen, mal träumerischen Einzelgänger? In der Figur des Dorffischers Grimes verarbeitet Benjamin Britten seine eigene Außenseiterrolle als Schwuler in einer homophoben Gesellschaft.
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Die Bühne: ein schwarzer Kasten. Das einzige Requisit, ganz vorn: ein Bett, das fast in den Orchestergraben stürzt. Dahinter wuselt der Chor, präzise choreographiert, und formiert sich zu immer neuen lebenden Bildern. Aus den malerisch über die schräg ansteigende Bühnenfläche schwärmenden Gruppen fällt immer nur einer heraus: Peter Grimes, der Sonderling, der Andere, der Ausgestoßene.
Was wirklich los ist mit Grimes, diesem mal gewalttätigen, mal träumerischen Einzelgänger, das wollen die klatschsüchtigen Dorfbewohner unbedingt wissen. Und jedem, der Benjamin Brittens berühmteste Oper verstehen will, geht es ähnlich. Es ist ja auch seltsam: Zwei von Grimes‘ Lehrjungen sind unter ungeklärten Umständen gestorben. Natürlich kocht die Gerüchteküche, man unterstellt alle möglichen Verbrechen – nur den furchtbaren Verdacht, der eigentlich im Raum steht, den spricht keiner aus. In der Vorlage zum Operntext, einer Novelle von George Crabbe, gibt es durchaus Anspielungen darauf, dass Grimes pädophil sein könnte. Benjamin Britten und sein Textdichter Montagu Slater haben sie bei der Umarbeitung zum Libretto sorgfältig getilgt. Ja, Grimes ist ein Sonderling. Aber er strebt eine Ehe mit der Lehrerin Ellen Orford an, auch wenn er das Heiraten immer wieder hinausschiebt. Dass Grimes ein sexuelles Interesse an seinen Lehrjungen haben könnte, darauf gibt es im Operntext keinen offenen Hinweis. Und doch ist offensichtlich, dass Britten in der Figur seine eigene Außenseiterrolle als Schwuler in einer homophoben Gesellschaft verarbeitet hat.
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Worüber der Komponist in den Vierziger Jahren nur zwischen den Zeilen sprechen konnte, das stellt Regisseur Christof Loy in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Grimes, mit suggestiver Körperlichkeit eindrucksvoll dargestellt von Joseph Kaiser, ist ein bärtig-muskulöser Kerl, der seine Freundin Ellen Orford nicht an sich ranlässt. Kein Wunder: Agneta Eichenholz muss Ellen Orford als Graue Maus im braven Hosenanzug darstellen. Viel stärker interessiert sich Grimes für Kapitän Balstrode, seinen einzigen Freund. Mit psychologischer Genauigkeit erzählt Regisseur Loy eine schwule Dreiecksgeschichte. Möglich ist das nur, weil er den Lehrjungen von einem jungen Erwachsenen darstellen lässt. Drei Männer, von denen einer Anfang Zwanzig ist: Mit diesem Kunstgriff kann Loy den schwulen Subtext der Opernhandlung ohne Verrenkungen auf die Bühne bringen. Loy hat nicht bloß ein Konzept, er erzählt eine Geschichte – und das allein durch eine ausgefeilte Personenregie. Handwerklich ist das ebenso unspektakulär wie brillant umgesetzt.
Joseph Kaiser meistert die enormen Herausforderungen der Hauptrolle respektgebietend. Im differenzierten Einsatz der stimmlichen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, gelingt ihm ein packendes Rollenporträt. Agneta Eichenholz singt die Ellen Orford leicht und sicher, wenn sie an Fülle und Strahlkraft hinzugewinnt, steht der schwedischen Sopranistin eine glänzende Zukunft offen. Rundum überzeugend ist Andrew Foster-Williams als Kapitän Balstrode. Windstärke zwölf entfacht Dirigent Cornelius Meister beim ORF-Radiosymphonieorchester. Das setzt zuverlässig, wenn auch ohne besondere klangliche Raffinesse Meisters packend-dramatischen Zugriff um. Eine ebenso sehens- wie hörenswerte Produktion.