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Interview mit Pierre-Laurent Aimard Zwischen Magie und Tragédie

Für drei Tage ist Pierre-Laurent Aimard zu Gast in München. Der Pianist, der dafür bekannt ist, jedes Stück bis ins kleinste Detail zu analysieren, verrät im Interview mit BR-KLASSIK, warum Ravels Klavierkonzerte ein Paar bilden und welches davon schwieriger ist. Das G-Dur-Konzert oder das in D-Dur, geschrieben nur für die linke Hand?

Bildquelle: © Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Herr Aimard, im Deutschen gibt es den Ausdruck: Das mache ich mit links. Das Ravel-Konzert für die linke Hand ...

Pierre-Laurent Aimard: ... spiele ich nicht mit der rechten Hand.

BR-KLASSIK: Aber leicht ist es nicht, oder?

Pierre-Laurent Aimard: Leicht, gar nicht. Es ist komisch, das Konzert für zwei Hände ist ziemlich leicht zu spielen, und das Konzert für die linke Hand ist wirklich eine instrumentale Herausforderung.

BR-KLASSIK: Es klingt viel vollgriffiger und eigentlich so, als müssten zwei Hände am Werk sein. Wenn man erfährt, dass es nur die linke Hand ist, ist man ganz erstaunt.

Pierre-Laurent Aimard: Eine Hand kann wie zwei Hände klingen, aber eine Hand arbeitet auch für zwei, sozusagen.

Das ist die Magie des Stückes: ein Illusions-Spiel von Ravel.
Pierre-Laurent Aimard

BR-KLASSIK: Was macht ihre rechte Hand die ganze Zeit?

Pierre-Laurent Aimard: Sie versucht, ruhig zu bleiben. Einmal habe ich eine Note von einem sehr breiten Akkord mit der rechten Hand gespielt, um nicht ein störendes Arpeggio zu spielen. Der Konzertmeister vom Orchester hat sich beklagt und gesagt, im Orchester störe das, wenn ich auch mit der rechten Hand spielen.

BR-KLASSIK: Ravel hat sein Klavierkonzert für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein geschrieben, der seinen rechten Arm im Ersten Weltkrieg verloren hatte. Aber es war offensichtlich mehr, was ihn daran gereizt hat. Sie haben schon gesagt, ein Zauberkunststück, das passt ja exakt zu Ravels Ästhetik, oder?

Pierre-Laurent Aimard: Was an diesem Stück hochinteressant ist, ist die Mischung zwischen Magie und Tragédie. Ein Stück, komponiert zwischen den beiden Weltkriegen. Das heißt, wir sind am Anfang der 30er-Jahre und man fühlt schon wirtschaftlich und politisch die Gefahr, die kommt. Und das ist sicher im Herzen des Stückes erfahrbar.

G-Dur und D-Dur als Paar

BR-KLASSIK: Auch der Jazz? Hat der damit etwas zu tun? Es klingt ja oft nach Ragtime.

Pierre-Laurent Aimard: Wie auch andere Komponisten hat Ravel diese Mode fast klischeehaft zitiert, aber in beiden Klavierkonzerten sehr gut benutzt. In dem Konzert für zwei Hände - seinem Divertimento, wie er das Stück zuerst genannt hatte - ist das reizvoll. Im Konzert für die linke Hand ist es eher sarkastisch, ein sehr schwarzer Humor.

BR-KLASSIK: Jetzt spielen Sie beide Konzerte innerhalb kürzester Zeit mit Valery Gergiev. Ist das eine besondere Herausforderung, diese sehr unterschiedlichen Stücke so kurz hintereinander zu spielen?

Pierre-Laurent Aimard: Nein, weil beide Stücke ziemlich kurz sind und das Konzert in G-Dur kein schweres Stück ist. Es ist interessant, sie zusammen zu spielen, weil sie ein kontrastierendes Paar bilden. Ravel hat sie auch im selben Moment komponiert. Diese Stücke repräsentieren die Komplexität von Ravel als Mensch und als Komponist. Einmal sozusagen der Dandy mit dem G-Dur-Konzert und einmal der leidenschaftlich, tiefe Mensch mit dem Konzert für die linke Hand.    

Das Besondere bei Ravel: seine geniale Orchestrierung und sein Geschmack.
Pierre-Laurent Aimard

BR-KLASSIK: Lässt der langsame Satz in dem G-Dur-Konzert nicht auch tief blicken? So romantisch und tief empfunden, ist das auch noch der Dandy?

Pierre-Laurent Aimard: Romantisch würde ich nicht sagen. Ravel wollte ein sehr transparentes Stück schreiben und hat immer an Mozart gedacht, und auch von Saint-Saëns gesprochen. Das gilt wahrscheinlich mehr für die zwei schnellen Sätze und für die sehr klare Verpackung des ganzen Stücks. Was bei Ravel besonders ist, ist selbstverständlich seine geniale Orchestrierung und sein Geschmack. Er kann Jazz machen oder Musik aus seiner Heimat, dem Baskenland - dabei bleibt er immer elegant und klassisch.

BR-KLASSIK: Wann haben Sie diese Stücke zum ersten Mal gespielt?

Pierre-Laurent Aimard: Ich kann mich erinnern. Das war ohne Orchester, aber mit einem zweiten Klavier und ich war 13 Jahre alt. Das ist eine fast schon alte Geschichte.

BR-KLASSIK: Das ist aber nicht selbstverständlich, diese schwierige Musik so jung zu spielen. Man muss ja was erlebt haben, um das erzählen zu können.

Pierre-Laurent Aimard: Ich würde sagen, das ist ein sehr feines und raffiniertes Handwerk, mehr als intellektuell. Und "schwer" - dieses Wort würde ich nicht benutzen. Ich würde sagen: "delikat". Man muss das sehr ordentlich mit Feinheit und Geschmack hervorbringen. 

BR-KLASSIK: Das ist alles? Das klingt so, als wäre es keine besonders große Herausforderung für Pierre-Laurent Aimard.

Pierre Laurent Aimard Pianist | Bildquelle: ©  Marco Borggreve Bildquelle: © Marco Borggreve Pierre-Laurent Aimard: Wie auch immer, Worte wie "intellektuell" oder "schwer" sind niemals selbstverständlich.  

BR-KLASSIK: Welche Wörter müssten dann noch dazu kommen?

Pierre-Laurent Aimard: Naja, die Musik sollte dazu kommen.

Das Gespräch für BR-KLASSIK führte Bernhard Neuhoff.

Infos zu den Konzerten in München

Montag, 27.03.2017 um 19:00 Uhr
3. Jugendkonzert
München, Philharmonie im Gasteig

Maurice Ravel - "La Valse"
Maurice Ravel - Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Franz Schubert - Symphonie Nr.4 c-Moll D 417 "Tragische"

Valery Gergiev, Dirigent
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Münchner Philharmoniker

Dienstag, 28.03.2017 um 20:00 Uhr
München, Philharmonie im Gasteig

Maurice Ravel - "La Valse"
Maurice Ravel - Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Gustav Mahler - Symphonie Nr. 4 G-Dur

Valery Gergiev, Dirigent
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Genia Kühmeier, Sopran
Münchner Philharmoniker

Mittwoch, 29.03.2017 um 20:00 Uhr
München, Philharmonie im Gasteig

Richard Strauss - "Don Juan" op. 20
Maurice Ravel - Konzert für die linke Hand für Klavier und Orchester D-Dur
Ludwig van Beethoven - Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 "Eroica"

Valery Gergiev, Dirigent
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Münchner Philharmoniker

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