Vier Tote - das ist ihre Bilanz am Ende der Oper. Katerina, unglücklich verheiratet, versucht aus ihrer Ehe auszubrechen und wird zur mehrfachen Mörderin. Schostakowitschs skandalträchtige Oper "Lady Macbeth von Mzensk" feierte nun Premiere an der Bayerischen Staatsoper - in einer handwerklich brillanten Inszenierung von Harry Kupfer und packend dirigiert von Kirill Petrenko.
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Sie macht uns zu Komplizen. Vier Menschenleben hat sie auf dem Gewissen – und wie reagieren wir? Mit Sympathie und Mitleid. Vielleicht sogar mit Bewunderung. Denn Anja Kampe ist Katerina, die Lady Macbeth von Mzensk. In einer Welt voller Gewalt wählt sie die Gegengewalt: Mord ist die einzige Form von Freiheit, die ihr bleibt. Und weil Schostakowitsch ihre von Männern beherrschte Umwelt so schonungslos schildert, so grotesk und niederträchtig, kann man als Zuschauer gar nicht anders, als Partei zu ergreifen für diese Frau. Jedenfalls an diesem Abend. Denn Anja Kampe ist Katerina. Mit brennender Intensität singt sie, ohne jedes Flackern, mit klar geführtem, warmem, farbenreichem Sopran. Eine fantastische Leistung.
Eigentlich muss diese Oper im Hals stecken bleiben. An diesem Abend geht sie gut runter. Eigentlich formuliert Schostakowitsch seine Anklage gegen männliche Gewalt provozierend drastisch. An diesem Abend fühlt man sich gut unterhalten. Eigentlich ist dieses Stück richtig garstig. An diesem Abend weckt es große Gefühle. Harry Kupfer, der 81 Jahre junge Meisterregisseur, mag verständlicherweise das Wort 'altmeisterlich' nicht besonders gern. Dabei trifft es ziemlich gut seine unübersehbare Stärke: die brillante Könnerschaft in der Personenführung. Wie er Anatoli Kotscherga als herrschsüchtigen, altersgeilen Familien- und Firmen-Tyrann durch die riesige rußige Fabrikhalle staksen lässt, wie er Katerina und ihren testosterongesteuerten Liebhaber Sergej miteinander ringen lässt, bis sie sich in den Armen liegen, wie er die Hochzeitsgesellschaft nach den ersten zwei Todesfällen über dem Leichenkeller zum Tanzen bringt, das alles sitzt. Nur der Chor agiert gelegentlich ein wenig betulich. Besonders viel mitzuteilen über das Stück hat Kupfer nicht. Will er auch gar nicht. Sorgfältig erzählt er am Text entlang: Man sieht, wovon die Rede ist, und man sieht, was man hört. Das ist alles sehr unaufgeregt und wenig aufregend. Ein Regisseur, der Regie als Handwerk versteht und das auch beherrscht, nicht weniger und nicht mehr.
"Lady Macbeth von Mzensk" in München - die Premiere in Bildern und zum Anhören.
Gesungen wird sehr gut, auch wenn Anatoli Kotscherga als Schwiegervater Boris stimmlich nicht ganz so viel böse Energie aufbieten kann wie in seiner schauspielerischen Darstellung. Misha Didyk als Sergej hat einen hellen, strahlkräftigen, etwas geheimnislosen Tenor. Stark in der Nebenrolle ist Anna Lapkovskaja als Sonetka mit großartig dunklen Farben. Sie alle werden überstrahlt von Anja Kampe mit ihrer maßstabsetzenden Deutung der Hauptfigur. Je länger der Abend dauert, desto tiefer kommt sie rein in diese Figur – und desto tiefer zieht sie uns rein, macht Zuschauer zu Komplizen.
Der große Anstifter steht im Graben. Kirill Petrenko setzt auf Emotion, nicht auf Schocks, nimmt diese böse Musik mit ihrem kühnen Stilmix oft überraschend lyrisch. Ohne jede Einbuße an Energie: Lustvoll und perfekt getimt lässt er die brillant-grotesken Nummern funkeln, die drastischen Passagen treibt er voran, aber nie auf die Spitze. So nimmt er der Partitur ihre kompromisslose Härte. Den leisen, poetischen Stellen gewinnt er tief berührende Momente ab. Der Ausdruck siegt über die Groteske. So romantisch und so präzise zugleich hat man Schostakowitschs "Lady" selten gehört. Eine vom ersten bis zum letzten Ton glaubhafte und packende Deutung.
Premiere war am 28. November, weitere Termine und Informationen unter staatsoper.de.
BR-KLASSIK übertrug die Premiere live. Hier können Sie den Opernabend nachhören.
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