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Kritik - "Boris Godunow" in Nürnberg Alle werden reich und schön

Am Samstag hatte "Boris Godunow" von Modest Mussorgskij Premiere am Staatstheater Nürnberg. In seiner Inszenierung kritisiert Peter Konwitschny die Gesellschaft - und macht keinen Unterschied zwischen Russland, Amerika oder Asien.

Bildquelle: © Ludwig Olah

Je schneller alles den Bach runtergeht, desto besser, meint der Opernregisseur Peter Konwitschny. Jetzt nämlich sei die Erde noch nicht total verseucht und habe vielleicht die Chance, nach dem Untergang der jetzigen Menschheit eine neue, bessere Zivilisation hervorzubringen.

Hoffnungsvoller Apokalyptiker

Der inzwischen 71-jährige Konwitschny ist also hoffnungsvoller Apokalyptiker, ein optimistischer Weltuntergangsprophet. Und eine Gesellschaft, in der Rotwein aus Tetrapaks getrunken wird, wie es in Konwitschnys Nürnberger Inszenierung des "Boris Godunow" zu sehen war, hat ihre besten Tage ja womöglich wirklich hinter sich.

Peter Konwitschny über die Zivilisation:

"Die Grundlagen müssen erneuert werden. Natürlich wird das nicht passieren, und deshalb geht die Zivilisation zu Ende, wie es eben auch im Alten Ägypten nicht möglich war, etwas zu erneuern, damit die länger existiert hätten. Sie sind untergegangen." (26. September 2016, im Gespräch mit Peter Jungblut)

Gern inszenieren deutsche Regisseure "Boris Godunow" als Russlandkritik, als Putin-Satire, als Abrechnung mit Kremlregime und Zarenherrlichkeit. Da ist dann häufig das zerlumpte, mitleiderregende, unterdrückte Volk zu sehen. Da wird die Brutalität der Mächtigen ausgestellt, da gibt es klare Feindbilder.

Hören Sie die gesamte Oper!

Bizarre Volksbeglückung

Das alles interessierte Peter Konwitschny in seiner Deutung nicht: Er macht bei seiner sehr grundsätzlichen Gesellschafts-, ja Menschheitskritik keinen Unterschied zwischen Russland, Amerika und Asien, zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus.

Peter Konwitschny:

"Diese Verarschung des Volkes, dass man es benutzt zum Hurra-Schreien - das habe ich auch in der DDR zur Genüge gehört. Das gibt es in den USA, da tanzen die halbnackten Mädels, das gibt es in Nordkorea, übrigens in Südkorea auch, das sieht nur immer anders aus." (26. September 2016, im Gespräch mit Peter Jungblut)

Aufstieg und Fall des umstrittenen Zaren Boris Godunow zeigt Peter Konwitschny folgerichtig als bizarre Volksbeglückung, wie sie überall auf der Welt stattfinden könnte. "Das Volk liebt die Lügner und Sieger", heißt es sarkastisch im Originaltext von Modest Mussorgsky - das passt auf Donald Trump wie auf jeden anderen populären Helden der modernen Mediengesellschaft.

Boris Godunow ist kein Schlächter und Folterknecht, ganz im Gegenteil, er lässt haufenweise Geld und Propagandafähnchen unter die Menschen werfen - und alle sind damit glücklich. Alle werden reich und schön, alle schleppen Einkaufstüten, sind von Kopf bis Fuß in Gold gewandet und himmeln eine riesenhafte Hüpfburg in Form eines Einkaufswagens an.

So sieht sie also aus, unsere Konsumwelt: Ein einziger, gigantischer, glitzernder Mummenschanz. Die Politik spielt bei Konwitschny buchstäblich Kasperletheater. Der Vorhang einer Puppenbühne geht auf, Polizist und Hanswurst rempeln sich an, drei verrückte Gitarristen spielen auf und werden vom hungrigen Krokodil geschnappt, der neue Zar trägt seine Krone spazieren.

Eitles, oberflächliches Getue

Die Macht, die Institutionen, die Wahlen, all das ist längst nicht mehr ernst zu nehmen, so die überdeutliche Botschaft - alles ist nur eitles, oberflächliches Getue. Übrig bleibt eine besinnungslose Spaßgesellschaft, die ihrem Ende entgegentaumelt. Das ist zutiefst kulturpessimistisch gedacht und gemacht, in dieser Drastik über zwei pausenlose Stunden hinweg auch arg holzschnitthaft.

Der Clou: Boris Godunow, der Herrscher, steigt einfach aus. Er weigert sich, wie eigentlich vorgesehen, am Ende zu sterben, setzt sich einen Strohhut auf, schlüpft ins Hawaiihemd und steigt frohgemut in den Orchestergraben.

Bosch dirigiert kraftvoll und leidenschaftlich

Der bulgarische Bass Nicolai Karnolsky singt ihn robust und überzeugend, auch die übrigen 15 Solisten fühlen sich in der Inszenierung hörbar wohl. Vor allem der Chor hat mächtig zu tun und erledigt seine Aufgabe vorzüglich. Marcus Bosch am Pult begleitet die herbe Wohlstandskritik passend kraftvoll, leidenschaftlich, ja mitunter ätzend, das klang streckenweise weniger nach Mussorgsky als nach Kurt Weills genialer Kapitalismus-Schelte vom "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny". Viel Jubel aus dem Publikum und ein sehr vergnügter Regisseur.

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