Der Geburtstag von Clara Schumann jährt sich 2019 zum 200. Mal. Die Pianistin Ragna Schirmer ist schon seit Längerem fasziniert von Claras Leben und Werk. Denn sie war nicht nur die Ehefrau von Robert Schumann, sondern selbst Komponistin und eine international erfolgreiche Pianistin. In einem historischen Rezital spielt Ragna Schirmer das gesamte Konzertprogramm von 1872 nach.
Bildquelle: Frank Eidel
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Ragna Schirmer, Sie ehren Clara Schumann zum 200. Geburtstag und geben ein Konzert nach dem anderen mit Bezug zur Komponistin. 1996 war der 100. Todestag. Damals war sie noch recht wenig beachtet, heute hingegen schon viel mehr. Woran liegt das?
Ragna Schirmer: Ich glaube, dass die Aufmerksamkeit für berühmte Künstlerinnen, für Frauenfiguren, einfach deutlich gestiegen ist. Im Falle von Clara Schumann ist es natürlich ganz besonders spannend, weil die ja als eigenständige Künstlerin auch ihre eigene Karriere gemacht hat. Sie ist ja nicht nur die Frau an der Seite von Robert Schumann gewesen, sondern sie hat schon sehr jung den Mann verloren. Sie hatte zu dem Zeitpunkt sieben Kinder, die ernährt werden mussten. Sie musste als Künstlerin wirklich selbstständig sein, was immer stärker wahrgenommen wird. Ich freue mich, dass das so funktioniert.
BR-KLASSIK: Sie sind schon seit ihrer Kindheit Fan von Clara Schumann, haben alles gelesen, was Ihnen in die Finger gekommen ist: Tagebücher, Briefe und Biografien. 1872 hat Clara Schumann ein Konzert in England gespielt, einen reinen Klavierabend. Das ist ja ein sehr ungewöhnliches Experiment gewesen, oder?
Ragna Schirmer: Ja, zumal man sagen muss, dass reine Klavierabende im 19. Jahrhundert wirklich extrem selten waren. In Deutschland beispielswweise galt es als Zumutung, ausschließlich Klaviermusik an einem Abend hören zu müssen. In England war das anders: In den 60er- und 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts hat sie es gewagt, wirklich ganz alleine aufzutreten. In England war Clara sehr erfolgreich und die Konzerte wurden extrem gut bezahlt, Und dieser Klavierabend von 1872, den ich spiele, ist ihr letztes verbürgtes Klavier-Rezital.
Es scheint bei uns durchaus gemeinsame Vorlieben zu geben.
BR-KLASSIK: Sie schlüpfen quasi in Claras Rolle und spielen einen Konzertabend, der auch 1872 heißt. Auf diesem Programm gibt es ganz unterschiedliche Musik. Es geht los mit Beethoven, dann kommen Scarlatti, Händel, Gluck - also nochmal ein Stück weiter zurück. Dann folgt Musik von ihrem Ehemann, Robert Schumann, um mit Chopin und Mendelssohn zu enden. Alle waren 1872 schon tot.
Bildquelle: © Robert Dämmig Ragna Schirmer: Das ist richtig. Sie hat ja ihre guten Freunde, die Zeitgenossen Mendelssohn, Chopin und ihren Ehemann sehr früh verloren. Sie hat überhaupt sehr viel Abschied verkraften müssen in ihrem Leben. Und die Programme, die sie so spielt, zeigen eigentlich immer, was ihr auch als Mission wichtig war: Von ihrem Vater hat sie gelernt, dass man das Publikum immer erst mit den anstrengenden großen Werken konfrontieren muss, weil sie dann noch am konzentriertesten sind. Danach bringt man dann die kleineren Stückchen. Ich habe diesen Abend schon oft gespielt. Das ist auch für mich sehr spannend, was da passiert. Es ist tatsächlich so: Die Konzentration ist erst einmal sehr stark und dann lässt man das in so einer Leichtigkeit ausklingen. Die Leute sind ganz beschwingt und heiter, sowohl in der Pause als auch nach einem Konzert. Es funktioniert also sehr gut.
BR-KLASSIK: Als Clara Schumann 1872 dieses Konzert gespielt hat, war sie schon Witwe und hatte sieben Kinder. Wie hat Clara Schumann es denn geschafft, trotz dieser Belastungen europaweit eine bekannte Konzertpianistin zu sein?
Ragna Schirmer: Da hat sie einen innovativen Trick angewandt, der zeigt, was für eine kluge, liebevolle Mutter und gleichzeitig auch eine starke Persönlichkeit sie war: Immer von Oktober bis März hat sie die Kinder bei Verwandten, Bekannten und Freunden untergebracht, teilweise auch in Internaten. In diesen Monaten hat sie dann wirklich wie verrückt konzertiert. Sie hat auch Briefe nach Hause geschrieben, ob es allen gut geht und wie viel sie verdient hat. Im Sommer hatte sie dann frei. Das hat sie tatsächlich durchgezogen. Jedes Jahr von April bis September hat sie kein einziges Konzert gegeben, war in ihrem Sommerhaus in Baden-Baden mit der ganzen Familie und hat sich in dieser Zeit ausschließlich um die Kinder gekümmert. Natürlich hat sie ein bisschen geübt und trainiert, aber sie ist nicht gereist.
Sie war eine kluge, liebevolle Mutter.
BR-KLASSIK: Was haben Sie sich denn als Pianistin und Clara Fan von Clara Schumann abgeschaut? Steckt auch ein bisschen Clara in Ihnen?
Ragna Schirmer: Das Programm, das sich Clara in ihrem Leben erarbeitet hat, ist meinem Repertoire tatsächlich recht ähnlich. Insofern scheint es da doch durchaus gemeinsame Vorlieben zu geben. Zum Beispiel die "Waldstein"-Sonate, die sie über 90-Mal gespielt hat, habe ich schon in meiner Jugend sehr oft gespielt. Kinder liegen mir auch sehr am Herzen. Da freue ich mich natürlich, dass offensichtlich auch eine interpretatorische Neigung kongruent ist. Was offensichtlich dafür spricht, dass sie auch ähnlich musikalisch gefühlt und gedacht hat.
Dienstag. 4.April 2019, 20.00 Uhr
Grünwald, August Everding Saal
Konzertprogramm von Clara Schumann 1872
Benefizkonzert
Ludwig van Beethoven
Sonate in C-Dur op. 53
Domenio Scarlatti
Tempo di ballo
Georg Friedrich Händel
Sarabande, Gigue und Passacaglia
Christoph Willibald Gluck
Gavotte
Robert Schumann
Kinderszenen op. 15
Frédèric Chopin
Valse in cis-Moll
Impromptu in As-Dur {op. 29}
Felix Mendelssohn Bartholdy
Rondo capriccioso op. 14
Ragna Schirmer, Klavier
Weitere Infos zu Konzerten von Ragna Schirmer finden Sie auf ihrer Homepage.
Sendung: "Leporello" am 2. April ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK