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Annekatrin Klepsch - Zweite Bürgermeisterin Dresden "Wir müssen über Werte debattieren"

Mit der friedlichen Revolution und der Wende gab es in Dresden eine Bürgerbewegung, die Großes geschafft hat. Auf der anderen Seite gibt es in Sachsen eine starke rechte Bewegung, die sich gegen Migranten, gegen Flüchtlinge, gegen den Rechtsstaat wendet. BR-KLASSIK hat mit Annekatrin Klepsch, Dresdens Zweiter Bürgermeisterin, über die Haltung der Kulturinstitutionen in der sächsischen Landeshauptstadt gesprochen.

Bildquelle: picture alliance / Jens Kalaene/dpa

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Als Pegida in Dresden damals anfing und dann auf andere Städte übergegriffen hat, gab es etwa in Köln und München gleich sehr deutliche Gegenreaktionen von Kultur, von der Kirche und von Bürgern. Die Intendanten Kušej und Bachler haben an ihren Münchner Theatern Transparente angebracht und die Lichter ausgemacht, um ihre Haltung zu zeigen. In Dresden waren die Reaktionen aus hiesiger Sicht weniger eindeutig. Ich erinnere mich an ein Interview, das Christian Thielemann in der "Zeit" gegeben hat. Er äußerste damals Verständnis für die Sorgen der demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger, blieb insgesamt sehr vage. Später hat er sich ganz deutlich von Pegida distanziert. Inzwischen ist viel Zeit vergangen, und seit den Ereignissen letzte Woche in Chemnitz ist ganz klar, dass sich zumindest die Pegida-Bewegung in Sachsen und die AfD in Sachsen offen miteinander solidarisieren. In Chemnitz wurde auch klar, wer da mitläuft. Das sind zum Teil keine "besorgten Bürger" mehr, sondern Menschen, die gegen die Demokratie und gegen den Rechtsstaat anlaufen. Wie ist in Dresden im Moment das Verhältnis und der Umgang miteinander – von Pegida und von den Bürgerinnen und Bürgern, die für die pluralistische Gesellschaft votieren?

Annekatrin Klepsch: In Dresden kann ich sagen, dass wir erst mal sehr froh sind, dass Pegida am Montag wirklich nur noch ein kleines trauriges Häuflein ist. Quasi ein Stammtisch auf der Straße, und den wird man auch nicht verhindern können. Viel wichtiger ist es, sich mit anderen Stellen auseinanderzusetzen: mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus an vielen anderen Stellen, im Internet und in der öffentlichen Diskussion. Das versuchen wir. Aber ich wollte nochmal auf Ihre Einleitung zurückkommen, in der Sie Herrn Thielemann angesprochen haben. Da ist festzustellen, dass Herr Thielemann eher die Ausnahme war; denn die Intendanten der Dresdner Theater haben sich schon 2014 zu einer "Initiative weltoffenes Dresden" zusammengeschlossen und haben gemeinsam aus der Kultur heraus genau diese Botschaft auch gesendet. Was wir dabei aber gelernt haben, ist, dass die öffentliche Diskussion vielleicht eine andere war als die Haltung der großen Kulturinstitutionen. Und dass es deshalb umso wichtiger ist, auch eine Debatte darüber zu führen, welche Werte uns verbinden und in welcher Gesellschaft wir miteinander leben wollen. Aber die Debatte kann ich eben nicht Montagabend mit Pegida auf der Straße führen. Das ist auch eine Erkenntnis.

Es ist wichtig, eine Debatte darüber zu führen, welche Werte uns verbinden und in welcher Gesellschaft wir miteinander leben wollen.
Annekatrin Klepsch

BR-KLASSIK: Wie verhalten sich denn im Moment die Kulturinstitutionen in Dresden? Gibt es sichtbare Aktionen an den Gebäuden, gibt es Diskurs-Veranstaltungen?

Annekatrin Klepsch: Die großen Häuser schauen eigentlich auf die Staatsregierung und hoffen, dass dort eine deutliche Positionierung gegen Rechtsextremismus stattfindet. Und dass eben nicht jede Gegendemo sofort, wie in der Vergangenheit geschehen, als links dargestellt und damit diffamiert wird.

Konstruktiv streiten

BR-KLASSIK: Sie haben mal gesagt: "Dresden ist in den Schlagzeilen, weil hier viel gestritten wird". Streit ist ja eigentlich, solange er fair und gewaltfrei abläuft, förderlich und für eine Demokratie geradezu notwendig. Wird dann eigentlich nur falsch gestritten in Dresden?

Annekatrin Klepsch: Streit ist ja nur dann konstruktiv, wenn er ein Ergebnis hat, also einen Kompromiss erzielt. Wir haben ja in der Vergangenheit heftige Diskussionen erlebt, zu allen möglichen Themen. In den letzten zwei Jahren haben wir begonnen, mit der Kultur zu sagen, dass wir bestimmte Themen gut moderiert diskutieren wollen. Im Rahmen der Bewerbung Dresdens zur Kulturhauptstadt haben wir die Reihe "Streitbar!" aufgelegt. Die erste Diskussion damals zwischen den Schriftstellern Durs Grünbein und Uwe Tellkamp ist dann ja sogar bundesweit kommentiert worden.

BR-KLASSIK: Mit viel Nachhall. Sie setzen diese Reihe im September fort. Zieht so etwas nachhaltig in die Gesellschaft ein? Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Annekatrin Klepsch: Solche Formate werden dankbar angenommen, wenn sie das Gebot der Kontroversität einhalten, wenn sie gut moderiert sind und sie auch die Mitsprache des Plenums ermöglichen. Es gibt einfach ein großes Bedürfnis nach Orientierung, auch in der schweigenden Masse. In dem Moment, in dem sich viele Menschen zu wenig ernst genommen, zu wenig einbezogen fühlen, kann die Kultur mit ihren Mitteln dazu beitragen, bestimmte schwierige Diskussionen zu moderieren.

Notwendige Kehrtwende und klare Abgrenzung

BR-KLASSIK: Dresden ist die Wiege der Kultur für ganz Deutschland. Es gab dort die friedliche Revolution und die Wende, also schon mal eine Bürgerbewegung, die Großes geschafft hat. Und auf der anderen Seite gibt es in Sachsen auch diesen extrem krassen Hass gegen Migranten, gegen Flüchtlinge, gegen den Rechtsstaat, gegen die Polizei. Können Sie uns diese Diskrepanz erklären? Warum ist diese Kluft in Sachsen scheinbar besonders groß?

Annekatrin Klepsch: Ich glaube, wir kämpfen heute mit der Situation, dass das Problem auch durch 25 Jahre CDU-Landesregierung ausgesessen und verharmlost wurde. Und dass durch die Relativierung von Rechtsextremismus und durch die Diffamierung von Demokratie-Initiativen (wie zum Beispiel der Einforderung von Verfassungstreue bei der Antragsstellung aus Landesmitteln wie dem Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz") auch der Eindruck erweckt wurde, Rechtsextremismus und Neonazismus seien nicht so schlimm – denn es gäbe ja noch "die andere Seite". Und da ist es zwingend notwendig, dass auch eine Landesregierung hier erkennt, dass es eine Kehrtwende geben muss. Eine ganz klare Abgrenzung in Richtung Rechtsextremismus und auch eine politisch-öffentliche Stärkung der Initiativen, die sich erst mal als bürgerlich-demokratisch begreifen.

Wir müssen über alle demokratischen Parteien hinweg ein festes Bündnis machen, um zu zeigen, dass man sich nicht die öffentliche Meinung von rechter Seite wegnehmen oder diktieren lässt.
Annekatrin Klepsch

 BR-KLASSIK: Wie nehmen Sie das, was in den letzten Tagen in Chemnitz passiert ist, wahr? Persönlich und auch als Politikerin?

Annekatrin Klepsch: Natürlich besorgt mich das sehr. Es hat mich auch sehr erschreckt, wie hoch die spontane Mobilisierungsfähigkeit rechter Netzwerke ist. Es zeigt aber auch, dass einerseits Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus hat, ein Problem mit rechten Netzwerken. Und das zieht sich ja durch, wenn sie zum Beispiel die ganze NSU-Geschichte betrachten. Es zeigt auch, dass wir uns auch bundesweit mit diesem Thema anders auseinandersetzen müssen. Ich glaube, wir müssen über alle demokratischen Parteien hinweg ein festes Bündnis machen, um zu zeigen, dass man sich nicht die Straße, die öffentlichen Plätze, die öffentliche Meinung von rechter Seite wegnehmen oder diktieren lässt.

Sendung: "Leporello" am 05. September 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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