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Missbrauch bei den Domspatzen Bistum relativiert Ratzinger-Aussagen

Im Zusammenhang mit dem Misshandlungs- und Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen versucht das Bistum Regensburg, den in die Kritik geratenen früheren Domkapellmeister Georg Ratzinger aus der Schusslinie zu nehmen.

Bistum relativiert Ratzinger-Aussagen | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Ratzinger habe auf Nachfrage erklärt, es sei richtig, alle Beschuldigungen rückhaltlos aufzuklären. Das teilte am 12. Januar der Sprecher der Diözese Regensburg, Clemens Neck, dem Bayerischen Rundfunk mit. Ratzinger sei mit dem Vorgehen des Bistums Regensburg uneingeschränkt einverstanden und er begrüße es, dass diese Aufgabe einem Rechtsanwalt übertragen sei, der unabhängig vom Bistum vorgehe.

Bistumssprecher Neck sagte weiter, der 91 Jahre alte Ratzinger sei gesundheitlich angeschlagen. Damit relativiert das Bistum Regensburg Aussagen, die der Bruder von Papst Benedikt am Dienstagmorgen im Gespräch mit dem BR gemacht hatte. Georg Ratzinger hatte hier von einer "Kampagne" gesprochen. Wörtlich hatte er gesagt: "Diese Kampagne ist für mich ein Irrsinn. Es ist einfach Irrsinn, wie man über 40 Jahre hinweg überprüfen will, wie viele Ohrfeigen bei uns verteilt worden sind, so wie in anderen Einrichtungen auch."

Eine kritische Bewertung kommt von Ratzingers Nachfolger, dem heutigen Domkapellmeister Roland Büchner: Die Misshandlungsvorwürfe seien seit Ende 80er-Jahre bekannt gewesen. Das damalige Führungspersonal bei den Domspatzen sei blauäugig gewesen und hätte reagieren müssen.

20 neue Opfer melden sich

Seitdem der mit der Klärung der Vorfälle beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber einen Zwischenbericht über Misshandlungs- und Missbrauchsfälle vorgelegt hat, haben sich knapp 20 weitere ehemalige Domspatzen bei ihm gemeldet. "Die neuen Opfer bestätigen die bisherigen Einschätzungen der Gesprächspartner", sagt Ulrich Weber. Er sprach am Freitag von 231 misshandelten Buben und 62 Opfern sexuellen Missbrauchs, aber auch von einer weit höheren Dunkelziffer an Fällen. Weber stellt seine Zwischenberichte genau aus diesem Grund öffentlich vor: Er will ehemalige Opfer von sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt ermutigen, sich bei ihm zu melden. Die Reaktionen auf seinen Zwischenbericht seien sehr anerkennend gewesen, so Weber. Wann er einen Schlussstrich zieht und seinen Bericht als vollständig erachtet, entscheidet er.

Ratzinger: "Ohrfeigen ja - Missbrauch nein"

Weber war von Bistum und Chor mit der Klärung des Skandals beauftragt worden. "Die sexuellen Übergriffe reichten von Streicheln bis zu Vergewaltigungen", so der Anwalt. Weber geht davon aus, dass Georg Ratzinger von den Vorgängen gewusst hatte. Er habe zumindest im Jahr 1987 von Gewalt in der Vorschule erfahren. Der Anwalt betonte zudem, selbst wenn man die Prügel im zeitlichen Kontext der damaligen Erziehung sehe, zeige sich eine "grobe Unverhältnismäßigkeit". Georg Ratzinger leitete die Regensburger Domspatzen von 1964 bis 1994. In jene Zeitspanne fielen die weitaus meisten Fälle von Misshandlung im Chor. Der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. sagte, er habe von "sexuellen Missbräuchen überhaupt nichts gehört". Prügel seien damals dagegen üblich gewesen.

Forderung nach personellen Konsequenzen in der Diözese

Derweil forderte Fritz Wallner, der stellvertretende Vorsitzende der kirchenkritischen Laienverantwortung Regensburg, personelle Konsequenzen, insbesondere den Rücktritt von Generalvikar Michael Fuchs. Der Grund: Fuchs stehe - obwohl er Anwalt Weber zum Sonderermittler berufen hatte - in besonderer Weise für das "System Müller" in der Diözese Regensburg und trage als Vertreter des früheren Bischofs "Mitverantwortung dafür, dass die Aufklärung der Missbrauchsfälle über Jahre hinweg verzögert oder sogar verhindert" wurde. Wallner bezeichnete es in einem Brief, den er an mehrere Medien verschickte, "geradezu als Hohn", dass Fuchs einem Beratungskuratorium angehören soll, das ab Februar Weber unterstützend zu Seite steht.

Generalvikar Michael Fuchs | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Generalvikar Michael Fuchs | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

"Ich will von den Domspatzen Schaden abwenden. Wenn man die Chronologie verfolgt, sieht man, dass immer von der Diözesanleitung verzögert, verharmlost, verniedlicht worden ist. Es muss klar sein, wer für diese Handhabung wirklich die Verantwortung trägt", sagt Fritz Wallner.

Der Verein "Freunde des Regensburger Domchores" steht dagegen hinter Michael Fuchs. Der Vereinsvorsitzende Marcus Weigl hat keinen Zweifel am Aufklärungswillen des Generalvikars. Er habe den Eindruck, dass eine transparente Aufarbeitung in der Bistumsleitung unbedingt gewollt sei, so erlebe er den Generalvikar in Gesprächen. Aus der Diözesanverwaltung gibt es keine Reaktion auf die Rücktrittsforderung gegen den Generalvikar. Stattdessen Lob von Bistumssprecher Clemens Neck für den Sonderermittler.

Stiftungsvorstand entsetzt

Auf Ulrich Webers Zwischenbericht hatte der Vorstand der Domspatzen bestürzt reagiert. Jeder einzelne Fall berühre die Mitglieder des Gremiums "im Innersten" und mache sprachlos, sagte Roland Büchner, Chorleiter und Vorstand der Regensburger Domspatzen. Der Vorstand wiederholte deshalb auch "in tiefer Erschütterung und Scham" seine Entschuldigung "gegenüber allen Opfern von Missbräuchen und Misshandlungen in Einrichtungen der Domspatzen".

Lob für den Opferanwalt

Zugleich gab es seitens des Stiftungsvorstands Lob für Rechtsanwalt Weber. Man sei "froh und dankbar", dass er mit seiner Arbeit offenbar gut vorankomme und auch von den Opfern als Gesprächspartner akzeptiert werde. Seitens der Stiftung wolle man ihn auch künftig in allen Belangen vorbehaltlos unterstützen. Es sei wichtig, "dass er den eingeschlagenen Weg weiterhin unabhängig und transparent gehen" könne.

Sonderermittler Ulrich Weber

Seit fast einem Jahr untersucht Ulrich Weber Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfe beim weltberühmten Knabenchor. Das Bistum hatte den langjährigen Anwalt der Opferschutzorganisation Weißer Ring im April als unabhängigen Sonderermittler eingesetzt. Er hatte mit Betroffenen und dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums gesprochen sowie Geheimarchive, Personalakten des Bistums und persönliche Notizen des Generalvikars eingesehen.

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