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Resümee – Münchener Biennale 2016 Labor mit Verbesserungs-Potenzial

Gleich 15 Uraufführungen waren dieses Jahr am Start: Installationen, Performances und sogar ganz "normales" Neues Musiktheater. Ein dickes, breit gefächertes Angebot – mit nicht durchweg hohem Niveau, wie BR-KLASSIK-Kritiker Jörn Florian Fuchs feststellen musste.

Szenenbild aus ""Mnemo/scene: Echos" bei der Münchner Biennale 2016 | Bildquelle: © Franz Kimmel

Bildquelle: © Franz Kimmel

BR-KLASSIK: Bislang wartete die Münchener Biennale mit fünf Neuproduktionen auf. Heuer sind es 15. Ist das Masse auf Teufel komm raus?

Jörn Florian Fuchs: Das ist der Versuch, auch viele Kleinformate anzubieten und nicht nur diese großen Musiktheater-Tanker. Es ist aber für die, die gerne wirklich alles sehen und hören wollen, ein logistisches Problem. Weil man irgendwann feststellte, zu Beginn des Festivals, dass wenn eine Aufführung um Acht beginnt und die nächste um Zehn, die, die um Acht angesetzt ist, gerade erst um Viertel nach Zehn zu Ende ist. Und dass man eben nicht zwei Aufführungen am Stück kriegt, sondern sehr, sehr viel disponieren muss. Es geht dann gerade, dass man in zehn Tagen alles gesehen und gehört hat.

BR-KLASSIK: Und das Niveau hält sich über alle Stücke?

Jörn Florian Fuchs: Nein. Und es war gleich der Anfang sehr enttäuschend. Eigentlich muss man sagen: erschreckend. Es gab da ein Werner Herzog/Klaus Kinski-Projekt von David Fennessy, ein irischer Komponist, der den Film "Fitzcarraldo", genauer gesagt die Aufzeichnung von Herzog zu diesem berüchtigten Film, in ein installatives Musiktheater umgesetzt hat - mit doch ziemlich austauschbaren Klängen, mit wenig Theatralität. Es ging nicht um eine Geschichte und auch nicht um mehrere, die man irgendwie verfolgen konnte. Man hörte und sah sich das an und wusste nicht, was das soll.

Und dann gab es gleich wenig später von dem Dänen Simon Steen-Andersen eine Reflexion auf das, was eigentlich in München passiert. Nämlich: Wie schreibe ich eine Oper? Was heißt es, Neue Musik zu schreiben? Selbstreferenziell ist das, ein bisschen originell und trägt vielleicht für eine Stunde. Es dauerte dann leider weit über zwei Stunden - und wurde in den künftigen Aufführungen wohl etwas gekürzt. Aber da ist auch schon ein Einwand: Dieses Festival ist ein Labor. Aber das heißt nicht, dass die Premiere noch nachbearbeitet werden sollte - finde ich.

BR-KLASSIK: "Original mit Untertiteln" nennt sich das Festival in diesem Jahr. Das klingt nach Thema mit Variationen, nach Andocken im Bekannten und gleichzeitig nach Weiterspinnen. Welche Originale und welche Untertitel gab es denn zu entdecken?

Jörn Florian Fuchs: Es waren weniger die großen Produktion, das Kleinere war spannend, die installativen Projekte. Zum Beispiel "Mnemo/scenes: Echos", das sich auf ein Stück von Schumann bezieht. Man geht im Einstein Kulturforum in München durch verschiedene Räume, wo Steine sind, wo Worte in Sand geschrieben sind, die dann auch verwischt werden. Und man hört Klänge - sehr porös, sehr vereinzelt. Es klingt ein bisschen nach Schumann. Wenn man sich dann auch einzelne Texte, die es gibt, dazu durchliest, sieht man: Es ist ein Erinnerungstheater, ein Rückblick auf die eigene Jugendzeit der Autoren. Aber auch eine Reminiszenz an Schumann. Irgendwann wird man in die Mitte zu einem großen Raum geführt, wo ein Stück wirklich als Konzertstück 20 Minuten lang läuft. Und danach wandern die Klänge wieder in ihre einzelnen Räume hinein. Das hat eine sehr schöne Atmosphäre, etwas sehr Intelligentes, Berührendes.

BR-KLASSIK: Ein Stück spielt auch im Müller’schen Volksbad, also in einem ausgesprochen schönen Münchner Schwimmbad. Welche Reize des Bades nutzt denn "Für immer ganz oben"?

Jörn Florian Fuchs: Das fand ich von der Konzeption spannend. Von der Umsetzung leider gar nicht. Brigitta Muntendorf hat eine Pubertäts-Kurzgeschichte von David Foster Wallace vertont - für Knabenchor. Berückend schöne Sphärenklänge sind das. Problem: Es war eine Kooperation mit dem Münchner Volkstheater mit viel Text und viel Schauspiel. Und dann sitzt man bei 70 Prozent Luftfeuchtigkeit und gefühlten 40 Grad in normaler Abendkleidung im Schwimmbad und schaut den im Wasser paddelnden Knaben zu, die toll singen. Aber letztlich ist mein Einwand: Das Szenische bleibt sehr auf der Stecke, trotz toller Musik.

BR-KLASSIK: Ungewöhnliche Orte sind ja schon lange eine Art Lockvogel für zeitgenössische Musik: je verrückter, desto anziehender. Was hat Sie denn noch beeindruckt?

Jörn Florian Fuchs: Was ich extrem gelungen fand, war eines der größeren Projekte, "Speere Stein Klavier" von Komponist Genoel von Lilienstern und Regisseur Christian Grammel. Übrigens mit dem Schauspieler Gerd Lohmeyer. Das ist ein Erinnerungsstück - wieder mal. Es geht um Carl Orff und Werner Egk und deren Rolle im Dritten Reich. Und was von Lilienstern auf eine intelligente Weise macht, ist, dass er zum Beispiel einen Marsch von Werner Egk für die Hitlerjugend in eine Schlageratmosphäre überführt. Das ist ein bisschen à la Marthaler gebrochen mit einer Prise Alexander Kluge, ein Geschichtsdiskurs. Aber sehr intensiv anzusehen. Und immer wieder lauert ein Abgrund. Auch die berüchtigte Schrift "Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner erlaubt sich von Lilienstern teilweise zu vertonen. Das ist auf der einen Seite sehr schöne Musik. Avantgarde, den Materialfortschritt gibt es allerdings nicht. Aber es wird der Sache sehr gerecht.

BR-KLASSIK: Die Stücke der Münchener Biennale werden ja nun nicht in die Schublade gestopft, sondern sie wandern weiter an andere deutsche Bühnen.

Jörn Florian Fuchs: Fast alle Stücke sind vor allem Koproduktionen mit mittleren Häusern. "Speere Stein Klavier" etwa ist eine Koproduktion mit dem Theater Augsburg, von dort kommen auch Orchester und Chor. Das Stück "Underline" ist eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper Berlin. Dementsprechend verschwindet vieles nicht in der Schublade. Das wäre auch schade, denn vieles ist sehr aufwendig - und auch einfach sehr teuer.

BR-KLASSIK: Junge Komponisten sollen bei der Biennale eine Chance haben. Welche Namen waren neu, welche sollen wir uns merken?

Jörn Florian Fuchs: Cathy van Eck fand ich sehr interessant und ihren "Phone Call to Hades". Man wanderte - in meinem Fall in strömendem Regen - an die Isar, wurde dort angesungen von Leuten in eigenartigen Kostümen. Irgendwann klingelte es: Und es war tatsächlich die Unterwelt dran. Solche esoterischen Projekte gab es auch. Ich finde es sehr spannend, in diese Richtung etwas zu wagen. Man muss aber den kritischen Punkt festhalten: Viele der größeren Projekte sind dramaturgisch nicht zu Ende gedacht worden. Und das haben die Festival-Leiter Daniel Ott und Manos Tsangaris im Gespräch auch gesagt, dass man da in den nächsten Ausgaben der Biennale mehr drauf schauen muss. Es gab ja einen Austausch über Plattformen und es wirkte manchmal ein bisschen so, als hätte man gesagt: Macht mal was ihr wollt. Und das ist doch ein bisschen zu offen. Aber das ist jetzt der Einstand dieses Teams gewesen. Schauen wir mal, was in zwei Jahren passiert.

Das Gespräch für BR-KLASSIK mit Jörn Florian Fuchs führte Sylvia Schreiber.

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