55 Jahre nach der letzten Neuproduktion hat die Wiener Staatsoper seit dem 28. September einen neuen "Barbier von Sevilla". Was die Personenregie angeht, gäbe es sicherlich noch Luft nach oben, doch das gebotene lustige Figurentheater erleichtert die Konzentration auf die sängerische Seite. Und dort gibt es nichts zu beanstanden.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Der für seine überdrehten und originellen Inszenierungen bekannte Regisseur Herbert Fritsch hat für seine erste Regiearbeit an der Wiener Staatsoper auch das Bühnenbild entworfen: Bunte farbige Folien, die den gesamten Abend ständig changierende optische Effekte bilden, allerdings keinen richtigen Raum für das große und prominent besetzte Solistenensemble.
Juan Diego Flórez erfüllt als galanter Graf mit komödiantischem Talent alle Erwartungen an einen Rossinisänger der Extraklasse und bleibt selbst in den gefürchtet halsbrecherischen Arien immer schlank und souverän im Ton. Der Kanadier Étienne Dupuis reißt mit seiner berühmten "Figaro"-Auftrittsarie das Wiener Publikum zu tosendem Applaus hin und wird zum absoluten Liebling des Abends, Paolo Bordogna Liefert als Bartolo virtuoses Minenspiel zum wohlfokussierten Baritonklang, und der Figur des Basilio verleiht Ildar Abrazakov ebenfalls erstmals an diesem Haus seinen profunden Bass.
Herbert Fritschs Inszenierung von Rossinis "Barbier von Sevilla" an der Staatsoper Wien, Szenenfoto mit Juan Diego Flórez | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Auch das Hausdebüt der Russin Wassilissa Berschanskaja als Rosina ist beachtlich. Mit samtweichem Timbre gleiten ihr die Koloraturen mühelos durch die Kehle, optisch ist sie allerdings auf Schmollmund unter dem rosa Perückenturm und auf schlanke Beine im kurzen, schwarzen Reifrock reduziert. Victoria Behr hat die Herren in poppig- bunte, opulente Rokokokostüme gesteckt, die sich gut bespielen lassen und willkommene optische Akzente setzen, doch Fritsch lässt jeden Charakter unkommentiert, verzichtet auf Subtext und setzt auf lustiges Figurentheater hauptsächlich an der Bühnenrampe.
Über drei Stunden trägt das leider nicht. Gerade in den Ensembles fehlt richtige Bewegung, da hilft auch das engagierte Herumhüpfen von Ruth Brauer-Kvam als Diener Ambrogio nicht, um die große Bühne zu beleben. Der Vorteil für den Musikgenießer: Diese Neuinszenierung stört nicht und macht Rossinis Barbier zum amüsanten Schaustück für große Belcantokunst vor buntem Hintergrund.
Informationen zu Terminen und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage der Wiener Staatsoper.
Sendung: "Allegro" am 29. September 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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