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Stockhausens "Donnerstag" aus "Licht" in Basel Beklemmend intensives Psychodrama

Dagegen ist Wagners "Ring" ein Klacks: 29 Stunden lang dauert der Opernzyklus "LICHT" von Karlheinz Stockhausen. Jedes der sieben Stücke ist einem Wochentag gewidmet. Stockhausen hat mehr als 25 Jahre daran gearbeitet, und eine Gesamtaufführung von "LICHT" gab es noch nie. Am Theater Basel ist am Samstag der "Donnerstag" auf die Bühne gebracht worden, die erste Inszenierung des Stücks seit über 30 Jahren.

Bildquelle: ©Sandra Then

Schon im Foyer wird klar: Heute wird Stockhausens Mysterienspiel alles Weihrauchhafte ausgetrieben. Betont lässig spielen Studenten der Basler Musikhochschule das Vorspiel zur Oper, optisch im Stil einer Bigband der 70er Jahre, mit Schlaghosen und roten Samtanzügen. Dirigent Titus Engel nippt zwischendrin einen Schluck und pafft eine Zigarette, als wollte er sagen: Vergesst die angestrengten Zwölftonformeln! Vergesst das ganze weltanschauliche Brimborium! Genießt einfach die Musik!

Stockhausen-Entmystifizierung

Drinnen, auf der Opernbühne, macht die amerikanische Regisseurin Lydia Steier weiter mit der Stockhausen-Entmystifizierung und holt das Stück vom Himmel herunter auf den harten Erdboden der Psychiatrie. Denn Michael ist hier kein übersinnlicher Heilsbringer, sondern ein schwer traumatisierter Mensch: mit einer trostlosen Kindheit, einem lieblosen Vater und einer depressiven Mutter, die schließlich von skrupellosen Ärzten vergast wird - Spiegelbild von Stockhausens eigener Kindheit im Dritten Reich. Kein Wunder, dass dieser Michael in der Nervenklinik landet, dass seine Reise um die Welt, die Auffahrt in den Himmel nur Traumgeburten seiner Fantasie sind. Zeitlebens verfolgen ihn die Schlüsselerlebnisse von früher: die blutüberströmte Mutter; der Vater als fanatischer Jäger; eine alptraumartige Geburtstagsfeier, nachgespielt von Riesenpuppen in der Mitte der Drehbühne.

Bilder von der Inszenierung

Trauriger Sektenführer

Lydia Steier deutet den "Donnerstag" aus der Biographie Stockhausens heraus. Das geht so weit, dass Michael-Darsteller Rolf Romei im dritten Akt wie eine Stockhausen-Karikatur wirkt: wallende Haare, weißes Gewand, offenes Brusthaar. Inzwischen ist er zum traurigen Sektenführer geworden, der von seinen bizarren Anhängern in Weltraum-Kostümen ständig missverstanden wird. Erst als er sich von dem grotesken Spektakel in Sicherheit bringt, findet Michael in einer berührend intimen Schluss-Szene zu sich selbst: versöhnliches Ende einer Inszenierung, die mit den spirituellen Dimensionen der Oper wenig anzufangen weiß, als beklemmend intensives Psychodrama aber stellenweise unter die Haut geht.

Präzise und fesselnd musiziert

Auch wenn die Michaels-Figur auf menschliches Maß geschrumpft ist: Die Darsteller leisten an diesem Abend schier Übermenschliches. Über Stunden hinweg, streckenweise sogar ohne Dirigent, wird da eine hochkomplexe Partitur gesungen, gespielt, getanzt - und dies nicht nur präzise, sondern fesselnd, ohne dass der Zuhörer auch nur eine Spur von Anstrengung merken würde. Die Souveränität aller Beteiligten ist so beeindruckend, dass es fast ein bisschen ungerecht erscheint, wenn man z. B. den exzellenten Trompeter Paul Hübner hervorheben würde, die energiegeladene Sopranistin Anu Komsi, die facettenreichen Michael-Darsteller Peter Tantsits und Rolf Romei oder auch den herrlich diabolischen Bassisten Michael Leibundgut. Und wenn dann beim Nachhauseweg fünf Trompeter wie von Zauberhand die Abschiedsmusik von den Balkonen und Kirchtürmen der Umgebung herunterblasen, dann wünscht man sich, dass noch in vielen anderen Theatern ein solches "LICHT" aufgehen möge.

Weitere Vorstellungen

Theater Basel, Große Bühne

Donnerstag, 29. September 2016, 17:00 Uhr
Samstag, 1. Oktober 2016, 16:00 Uhr
Sonntag, 2. Oktober 2016, 16:00 Uhr

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