Frauen sprechen heute tiefer als früher. Biologisch lässt sich dieses Phänomen nicht erklären. Vielmehr scheint das neue Rollenbild der Frau der Grund dafür zu sein. Allerdings sind nicht alle Frauen gleichermaßen davon betroffen.
Frauen sprechen hoch, Männer tief - das war immer so. Aber wird es auch so bleiben? Unser Umfeld, unser Leben - alles verändert sich. Und das hat Auswirkungen auf uns selbst - auch wenn die nicht immer logisch scheinen: Während beispielsweise unsere Lebenserwartung steigt, kommen Kinder zugleich immer früher in die Pubertät. Dadurch setzt auch der Stimmbruch mehrere Jahre früher ein als noch zu Bachs Zeiten. In den letzten Jahrzehnten machten auch Frauen einen Stimmwandel durch.
Mehrere Tausend Leipziger Bürger haben an einer großen Studie teilgenommen, für die Forscher die Entwicklung der menschlichen Stimme untersuchten. Dabei stellte sich heraus, dass Frauen im Alter zwischen vierzig und achtzig Jahren heute deutlich tiefer sprechen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die durchschnittliche Sprechhöhe dieser Frauen liegt mit rund 168 Hz nur mehr etwa eine Quinte höher als die der Männer, deren Stimmfrequenz nach wie vor um die 110 Hz liegt. Früher war die durchschnittliche Sprechhöhe der Frauen bei 220 Hz - eine Oktave höher als bei den Männern.
Zunächst vermuteten die Ärzte biologische Gründe: Die allgemeine körperliche Entwicklung - zum Beispiel, dass wir immer größer werden - könnte dafür verantwortlich sein, dass auch die Stimmen tiefer geworden sind, so die Annahme. "Dann hätten aber auch die Männerstimmen tiefer werden müssen", sagt Michael Fuchs, Leiter der Sektion Phoniatrie und Audiologie am Uniklinikum Leipzig. Als Nächstes hätten die Leipziger Forscher die hormonelle Situation der Frauen untersucht, so Fuchs. Doch auch hier Fehlanzeige: "Bei allen 1.400 Frauen war der Hormonstatus völlig normal. Es gab keine Veränderungen zu früheren Werten." Auch das Rauchverhalten der Frauen könne nicht ausschlaggebend für die Ergebnisse sein, erklärt Fuchs: "Selbst wenn wir die Raucherinnen rausrechnen, kommen wir zum Ergebnis der tieferen Frauenstimmen." Die Gründe mussten also woanders liegen.
Die Forscher vermuten, dass die tieferen Frauenstimmen eine Folge des sozialen und gesellschaftlichen Wandels ist. "Es wird wohl das Rollenbild der Frau sein, das sich in unserer Gesellschaft verändert hat", folgert Fuchs. Interessant ist jedoch, dass diese stimmliche Veränderung bei Frauen über vierzig Jahren festgestellt wurde. Sind junge Frauen nicht noch viel stärker in den Prozess der Emanzipation eingebunden?
Ob unbewusst oder nicht - eine tiefe Stimme wirkt sich offensichtlich positiv auf Beruf und Karriere aus. "Aus psychoakustischen Studien wissen wir, dass wir dazu tendieren, tieferen Stimmen mehr Vertrauen zu schenken als höheren", erklärt Fuchs, "höhere Stimmen signalisieren immer Unsicherheit, vielleicht auch Schutzbedürftigkeit, während eine tiefe Stimme Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit signalisiert." So gesehen wären Frauen in dieser Hinsicht von Natur aus erstmal benachteiligt. Ein Unterschied, den es auszubügeln gilt.
Um ernster genommen zu werden, lernen Frauen in Sprechtrainings und Führungskräfteseminaren ganz gezielt, mit einer entspannten - und damit auch relativ tiefen - Stimme zu sprechen. Adina Mornell ist Professorin für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Münchner Musikhochschule, arbeitet aber auch mit Führungskräften gezielt an der Stimme: "Die eigene Stimme ist die Visitenkarte. Was ich mit der Stimme mache, erzeugt den Ersteindruck", so Mornell. Zugleich betont sie, dass es falsch wäre, die Stimme zu kontrollieren: "Das wäre die falsche Richtung. Aber ich kann hören, wie ich klinge und meine Stimme durch gezielte Übungen auf eine optimale Tonhöhe und Entspannung bringen."
Blicke man auf andere Länder und Kulturen, sei die globale Situation der Frauenstimmen relativ heterogen, sagt Michael Fuchs. Die tiefsten Stimmen überhaupt seien in Skandinavien zu finden. "Natürlich finden wir dort im Vergleich zu anderen Ländern besonders große Personen, aber das erklärt nicht den großen Unterschied", so Fuchs. Vielmehr sei der Emanzipationsgrad gerade in Skandinavien besonders hoch. Die deutschen Frauen sprechen im weltweiten Vergleich immer noch relativ tief. In anderen Ländern wie Japan hingegen entspricht eine hohe weibliche Stimme dem Ideal. Und auch in den USA sprechen Frauen eher hoch, findet Adina Mornell, die selbst aus Amerika stammt. "Erstaunlich ist, wieviel höher Amerikanerinnen sprechen als die deutschen Frauen", sagt sie. "Das ist die Sozialisierung. Es hängt auch damit zusammen, dass sich die Frauen von den Männern absetzen wollen. Deshalb sprechen sie dort betont höher."
Möglicherweise hat das Absinken der weiblichen Sprechstimme auch Auswirkungen auf den Gesang. Der Kirchenmusiker Klaus Wedel aus Roth hat nach mehr als vierzig Dienstjahren den Eindruck, dass die Stimmen in seiner Gemeinde generell tiefer werden. Er ist gerade dabei, neue Bücher mit Begleitsätzen für Lieder aus dem Evangelischen Gesangsbuch herauszugeben. Die Noten hat er dabei tiefer gesetzt als sie im gängigen Gesangsbuch gedruckt sind. Seine Begründung: "weil es nötig wurde".
Der Leipziger Forscher Michael Fuchs weist darauf hin, dass Männerstimmen im höheren Alter - etwas ab siebzig oder achtzig Jahren - sogar oft wieder etwas höher werden. Der Grund: Im Stimmbruch der Knaben verlängern sich die Stimmlippen, wofür das männliche Geschlechtshormon Testosteron zuständig ist. Selbst wenn der Testosteronspiegel im Alter wieder absinkt, würde das die Länge der Stimmlippen nicht mehr verändern. Aber: "Das Gerüst des Kehlkopfes, das eigentlich aus Knorpeln besteht, verknöchert zunehmend. Und auch die Stimmlippen verlieren ihre Elastizität", so Fuchs. "Dadurch wird das ganze System starrer - und die Stimme damit wieder etwas höher."
Sendung: "Allegro" am 23. November 2017, ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK.