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VOR DREISSIG JAHREN STARB DER JAZZMUSIKER SUN RA Kreative Impulse vom Saturn

Er hieß eigentlich Herman Blount, nannte sich aber stets Sun Ra – nach dem antiken ägyptischen Sonnengott Ra. Er mischte Avantgarde-Jazz mit kühnen Shows – und spielte bei München schon mal fast eine Nacht durch. Am 30. Mai 1993 starb Sun Ra.

Sun Ra 1973 | Bildquelle: n.n.

Bildquelle: n.n.

Als sich die Seele des großen Sun Ra vor genau drei Dekaden von ihrer irdischen Umhüllung löste und in den Himmel, oder besser: die kosmische Unendlichkeit aufmachte, war dieser galaktische Botschafter des Jazz nicht einmal drei. Drei? Nun, der Saturn braucht 29 Jahre und 166 Tage um die Sonne zu umkreisen - den zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems hatte der Pianist, Keyboarder und Orchesterleiter immer als Geburtsstätte angegeben. Andere Quellen nennen allerdings Birmingham, Alabama als den Ort, an dem Sun Ras Mutter 1914 niederkam. Egal ob nun die gute alte Erde oder der Himmelskörper mit den stattlichen Ringen als Heimat im Pass des interstellaren Musikers stand – es ändert nichts am Mythos des Mannes, der derzeit durch die wieder sehr starke Strömung des Afrofuturismus einen seiner Unsterblichkeit förderlichen neuen Popularitätsschub erfährt.

SPACE IS THE PLACE

Zu Sun Ras Geburtstag am 22. Mai - 109 wäre er nach irdischer Zählung geworden - posteten prominente Musiker wie Craig Taborn, Lakecia Benjamin oder Charles Lloyd in den sozialen Medien wortreiche Verneigungen und der legendäre Pianist Kirk Lightsey trug bei seinem jüngsten Münchner Konzert eine Jacke mit der Aufschrift: "Space Is The Place" – so hieß ein 1972 gedrehter Science Fiction-Film, für den Sun Ra die Musik komponierte, für den er mit Joshua Smith das Drehbuch schrieb und in dem er natürlich auch die Hauptrolle übernahm.

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Sun Ra Arkestra - North Sea Jazz 1979 | Bildquelle: Jazz|ᴳᴿᴱᴱᴺ (via YouTube)

Sun Ra Arkestra - North Sea Jazz 1979

EIN 99-JÄHRIGER SETZT SEIN ERBE FORT

Sun Ras Spirit ist übrigens nicht nur auf Ton- und Bilddokumenten oder in der Erinnerung seiner Apostel allgegenwärtig – sein alter Space-Buddy, der Saxofonist Marshall Allen, mittlerweile stolze 99 Jahre alt, legt das musikalische Erbe seines Chefs auf den Bühnen dieser Welt unermüdlich und mit immer noch größter Vitalität gewinnbringend an.

DER MANN AUS DEM ALL WAR GUT GEERDET

Sun Ra Schallplattencover "Universe in Blue" | Bildquelle: waitawhile sun ra archive Bildquelle: waitawhile sun ra archive Dieser Sun Ra, der sich mal wie ein wiedergeborener ägyptischer Pharao oder wie ein durchgeknallter, mit allerlei glitzernden Insignien drapierter Regent aus den Weiten des Alls kleidete, war und ist ein viel bewunderter, von vielen gar kultisch verehrter Klangkünstler, eine Gestalt, die furchtlos im Universum der Musik Sternenstaub aller Art aufklaubte, die hoch philosophisch und herrlich kindisch sein konnte und die uns klar machte, dass die Zukunft ohne Vergangenheit nichts wert ist. Denn trotz aller futuristischer Anwandlungen und vieler spinnerter Ideen kam immer wieder durch, dass Herman Blount (so Sun Ras Klarname) sehr wohl geerdet ist, dass er in der Tradition verwurzelt war, dass er Musik machte, die sich auch mal auf Duke Ellington bezog oder auf Fletcher Henderson – einen Bandleader, unter dem Sun Ra früh sein Jazzrüstzeug zusammen bekam.

Nicht jeder wollte oder konnte verstehen, was diese kolossale Erscheinung von einer Bühnenfigur da machte. Sun Ra war einer, der die Jazzgesellschaft spaltete. Die Sängerin Betty Carter etwa warnte sogar vor ihm und stellte ihn als gefährlichen Scharlatan hin. So what.

EIN MUSIKER, DER DAS WETTERLEUCHTEN DIRIGIERTE

Zwei persönliche Eindrücke zu Sun Ra. Als das Jazzfestival in Moers noch als Open Air abgehalten wurde, spielte das "Sun Ra Arkestra" ein Konzert, bei dem ein geradezu infernalisches Gewitter die Wiese vor der Bühne in eine Matschgrube verwandelte. Wacken (ein Heavy Metal Festival, auch für seine Unwetter-Kapriolen bekannt) - ist nichts dagegen. Sun Ra spielte zur Gaudi des Publikums mit den vom Himmel zuckenden Blitzen, mit dem Wetterleuchten. Es war, als dirigierte er das Geschehen, das er Dank guter Kontakte und der Antennen auf seinem Helm herbeigerufen hatte.

Gebt uns eine Viertelstunde Pause – dann spielen wir so lange, bis die erste Bahn kommt.
(Sun Ra)

SPIELEN, BIS DIE S-BAHN WIEDER FÄHRT

Unvergesslich: in den 80er Jahren spielte das "Sun Ra Arkestra" ein über vierstündiges Konzert in der Theaterfabrik Unterföhring. Nach der urkomisch-kosmischen Show kamen Jünger in des Bandleaders Garderobe und sagten: "Meister, du hast so lange gespielt – jetzt ist blöderweise die letzte S-Bahn Richtung München weg." Sun Ra: "Wann geht denn der nächste Zug? Aha. Gebt uns eine Viertelstunde Pause – dann spielen wir so lange, bis die erste Bahn kommt." Und so folgte dann wie versprochen eine "Zugabe", die in ein weiteres mehrstündiges galaktisches Spektakel ausartete, ein Feuerwerk mit knalligen Funken aus Afro-Futurismus und Jazzhistorie. Als Sun Ras himmlische Truppe dann am frühen Morgen von der Bühne ging, hatte die S 8 längst ihre morgendliche Taktung wieder aufgenommen.          

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Sun Ra - The Magic City (1966) (Full Album) | Bildquelle: Jazz Time with Jarvis X (via YouTube)

Sun Ra - The Magic City (1966) (Full Album)

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