Wir hören eine Stimme – und sind sofort gefesselt. Selten, aber es kommt vor. Es gibt Jahrhundertstimmen, die uns selbst noch nach Jahrzehnten faszinieren: etwa die von Maria Callas oder Fritz Wunderlich. Woran liegt das eigentlich? Alles nur Mythos? BR-KLASSIK hat den Stimmforscher Thomas Seedorf gefragt.
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Eine Stimme, ein Name, eine Legende – für immer? Natürlich spielt der Mythos um einen großen Sänger eine Rolle. Aber wenn uns eine Stimme wirklich fasziniert, steckt da doch mehr dahinter, meint Stimmforscher Thomas Seedorf: "Diese Stimmen haben ein ganz unverwechselbares Timbre. Maria Callas oder Fritz Wunderlich erkennt man nach nur zwei Tönen." Warum sie uns verzaubern, hat aber noch mehr Gründe.
Warum uns ihr Gesang so berührt, könne aber auch biografische Gründe haben. Wer in einer bestimmten Lebensphase oft Fritz Wunderlich gehört hat, für den kann das später auch ein "eigener biografischer Ankerpunkt" sein, erklärt Seedorf. Das erklärt aber trotzdem noch nicht, warum seine Stimme so einzigartig war. "Kunstgesang ist immer Kunst", sagt Seedorf. Trotzdem lieben Hörer es, wenn eine Stimme irgendwie auch natürlich klingt. Wer das als Sänger hinkriegt, hat gewonnen. "Wenn die Menschen vergessen können, dass es Kunst ist, spricht das viele sehr unmittelbar an", so Seedorf.
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Fritz Wunderlich: Tamino's Portrait Aria (The Magic Flute)
Was wir als schön empfinden, das verändert sich von Generation zu Generation. Deshalb sei es wichtig, immer auch den Kontext zu sehen. "Die Stimme gibt es nicht allein", betont Thomas Seedorf. "Sie ist immer eingebaut in ein Umfeld." Gerolltes "r", Frauen mit piepsig hohen Stimmen, alles überartikuliert – so hat man in den Fünfzigerjahren in Filmen gesprochen. Heute mag man das als merkwürdig empfinden. Damals wurde das aber nun mal so gemacht.
Viele junge Menschen haben heute keinen guten Kontakt mehr zu ihrer Stimme.
Heute beobachtet man hingegen häufig eine gewisse Nachlässigkeit der Artikulation – auch bei Schauspielern. Thomas Seedorf meint: Was in der Öffentlichkeit präsent ist, ahmen viele junge Menschen nach. Hinzu komme, dass sie häufig nicht mehr viel singen. Die Folge: "Sie haben keinen guten Kontakt zu ihrer Stimme." Es gebe auch häufig Stimmschäden – oft entstanden in der Mutationsphase, dem sogenannten "Stimmbruch" oder auch durch häufiges Überschreien.
Stimme ist extrem kulturell geprägt.
Wo jemand herkommt, hört man daran, wie er spricht und seine Stimme einsetzt. Das ist von Region zu Region anders. "Die Stimmen klingen einfach anders", so Seedorf. Interessant sei, dass das sowohl fürs Singen wie auch fürs Sprechen gilt. Die kulturelle Prägung lässt sich nicht aus der Stimme verbannen: "Stimme ist extrem kulturell geprägt."
Fritz Wunderlich verzauberte mit seinem hellen, natürlich klingenden Tenor ganze Generationen. | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk / SWR / Wunderlich Medien Wie eine Stimme klingt, bestimmt ganz wesentlich, ob man jemandem gerne zuhört. Es gebe sehr viele gesunde Stimmen, so Seedorf, die nur einfach nicht richtig trainiert seien. Am besten: mal eine Aufnahme von sich selbst machen. "Für jeden, der das zum ersten Mal erlebt, ist das in der Regel ein großer Schock", weiß Seedorf. Wichtig sei dabei vor allem, wie man sich selbst beim Sprechen fühle, rät der Stimmforscher. Und: Wie das Umfeld auf einen reagiert. "Hören mir andere gerne zu? Lassen sie sich gar nicht begeistern für das, was ich gerade erzähle? All solche Dinge können ein Anhaltspunkt sein."
Sendung: Leporello am 16. April 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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