Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker haben mit einem neuen "Tristan" die diesjährigen Osterfestspiele in Baden-Baden eröffnet. Regisseur Mariusz Treliński verlegte dabei seine düstere Inszenierung auf und in ein Kriegsschiff.
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Premierenkritik zum Nachhören
Simon Rattle dirigiert "Tristan und Isolde" in Baden-Baden
Operngläser waren im Baden-Badener Festspielhaus wie üblich für 2,50 Euro auszuleihen. Nachtsichtgeräte wären in diesem Fall allerdings hilfreicher gewesen, denn der polnische Regisseur Mariusz Treliński und sein Ausstattungsteam hatten sich entschieden, "Tristan und Isolde" zappenduster zu inszenieren. Das war über gut fünf Stunden hinweg einigermaßen anstrengend, weshalb es aus dem Publikum am Ende auch vernehmbare Protestrufe gab.
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Nun hat Richard Wagner ja tatsächlich ein Nachtstück geschrieben: Über drei Aufzüge hinweg wird es in dieser Oper nie richtig hell, allenfalls dämmert es mal. Das helle Tageslicht ist für Tristan und Isolde Inbegriff der liebes- und lebensfeindlichen Welt, des schnöden Alltags, der Machtpolitik und der Triebunterdrückung. Weil sie das alles hinter sich lassen wollen und müssen, flüchten sie sich in die ewige Dunkelheit, also letztlich in den Tod, den Wagner nicht nur romantisch verklärte, sondern auch buddhistisch verstand, als ersehnte Auflösung im Weltganzen.
Das lässt sich mit sternenklaren oder blauen Nächten bebildern, mit Vollmondlicht oder auch, wie in Baden-Baden, in rabenschwarzer Düsternis. Bei Mariusz Treliński durfte allenfalls das grüne Nordlicht wabern, ansonsten waren die Taschenlampen der Bühnenarbeiter streckenweise die hellste Lichtquelle. Ausstatter Boris Kudlička verlegte die Handlung auf und in ein Kriegsschiff. Wild tost das Meer, die Mannschaft hat alle Hände voll zu tun und ist streng gedrillt, da sorgt eine Frau an Bord natürlich für Unruhe.
Offizier Tristan ist mit seinem Revolver nicht zimperlich, erschießt auch mal persönlich einen Gefangenen und hat auf der Kommandobrücke immer den Radarschirm im Auge. Der allerdings empfängt keine Signale, sondern zeigt vielmehr die schwierige Kindheit von Tristan, der seine Eltern früh verlor und sich nach Liebe sehnt. Isolde kann sie ihm geben, aber nur heimlich, im Schatten der Nacht - sonst würde ja die militärische Disziplin leiden. Möwen flattern am Horizont, der Ozean wogt hin und her, wenn sich das Paar an seiner Liebe berauscht, übrigens so keusch und kühl, dass es mitunter schon fast unglaubwürdig aussah. Es endete natürlich tragisch, der tödlich verwundete Tristan besichtigt ein letztes Mal sein nieder gebranntes Elternhaus und stirbt in den Armen von Isolde.
Die Bilder sind also sehr abstrakt, sehr allgemein gehalten und das hat seinen guten Grund: Die Festspiel-Produktion wird von Baden-Baden nach Warschau und an die Metropolitan Opera New York gehen und auch noch in Peking gezeigt. Die Regiesprache musste also universal sein, politische Kommentare etwa zur deutschen oder europäischen Gegenwart wären einem ausländischen Publikum kaum verständlich gewesen. Diese Nacht- und Schatten-Bilder dagegen ließen viel Denk-Freiraum, machten es den Zuschauern leicht, jeweils eigenen Fantasien und Sehnsüchten nachzusinnen.
Eine Sonnenfinsternis ist sicher auch in Peking emotional besetzt, ebenso wie eine Reise zu fernen Galaxien, durch dramatische Wolkenlandschaften oder über die stürmische See. Alles Sinnbilder für so leidenschaftliche wie verhängnisvolle Emotionen, die die Baden-Badener Bühnentechnik beeindruckend in Szene setzte. Musikalisch werden von den Berliner Philharmonikern ja grundsätzlich Wunder erwartet, so selbstbewusst, wie das Orchester auftritt. Tatsächlich zauberte Dirigent Simon Rattle ein traumhaft ausgeglichenes Klangbild. Allerdings wurde einmal mehr deutlich, dass die rauschhafte Überwältigung nicht seine Sache ist. Deshalb blieb das Vorspiel auch eher spröde und nüchtern. Da floss noch kein Herzblut, und auch die Liebesraserei im zweiten Aufzug blieb recht kontrolliert.
Der australische Tenor Stuart Skelton meisterte die Tristan-Partie mehr als achtbar, spielte allerdings sehr unterkühlt. Eva-Maria Westbroek ist als Isolde umstritten, seit sie den Bayreuther Festspielen absagte. In Baden-Baden überzeugte sie jedenfalls in der schwierigen Rolle, auch wenn manche Höhe verschattet klang und sie sich hier und da etwas betulich bewegte. Die schauspielerische Zurückhaltung war von der Regie offensichtlich gewollt. Viel Applaus erhielten Stephen Milling als imposanter König Marke und Michael Nagy als erstaunlich selbstbewusster Kurwenal. Eine international konkurrenzfähige, marktgängige und mehrheitsfähige Produktion, und das ist für privat finanzierte Festspiele kein Nachteil.
Alle Aufführungstermine sowie weitere Informationen zur Neuproduktion von Wagners "Tristan und Isolde" finden Sie auf der Website des Festspielhauses Baden-Baden.