Vor den Augen von Polit-Prominenz erobert der schottische Feldherr die Krone: Verdis Oper wurde mit Weltstar-Besetzung fast ein politisches Gleichnis. Plácido Domingo sang mit 77 Jahren die düstere Titelrolle. Am 17. Juni 2018 war Premiere in der Berliner Staatsoper unter den Linden.
Bildquelle: Bernd Uhlig
Die Kritik zum Anhören
Berliner Machtkampf mit Netrebko und Domingo
Was sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Gesundheitsminister Jens Spahn wohl gedacht haben, als sie gestern Abend in der Berliner Staatsoper auf ein rauchendes Schlachtfeld blickten? "Macbeth" ist bekanntlich ein ziemlich blutiges Stück über die Macht, über die Beseitigung von Gegnern, über Prophezeiungen, über Intrigen und geheimnisvolle Geister, die immer nur lügen und dabei stets die Wahrheit sagen, ohne rot zu werden. Trotz der aktuellen hochbrisanten Lage in den Unionsparteien und trotz des parallelen Krisentreffens im Kanzleramt nahmen sich Schäuble und Spahn Zeit für die dreistündige Premiere, begrüßten sich etwas förmlich, unterhielten sich mit gesenkter Stimme und checkten immer wieder behutsam ihre Smartphones - hätte ja sein können, dass jemand noch vor Macbeth seine Macht verliert.
Die ganze Welt ist eine Bühne, allerdings nicht immer mit Shakespeare-Text und Verdi-Musik. Regisseur Harry Kupfer und sein Ausstatter Hans Schavernoch zeigten das Drama um den schottischen König in einer Optik, die vor 30 Jahren schwer in Mode war. Eine rabenschwarz-glänzende Marmorhalle, die an eine SS-Ordensburg erinnerte. Lauter schneidige, zackige Männer in schwarzer oder weißer Uniform, aufgetakelt mit Auszeichnungen, eine durch und durch faschistische Welt. In ähnlichen Dekorationen hat Harry Kupfer schon so ziemlich alles spielen lassen, die blutrünstige "Salome", die düstere "Götterdämmerung". Der Mann ist 82, sein Bühnenbildner 72, beide müssen nichts mehr beweisen und dürfen sich getrost selbst zitieren.
Plácido Domingo in der Titelrolle und Anna Netrebko als Lady Macbeth. | Bildquelle: Bernd Uhlig Überraschungen waren sowieso nicht zu erwarten, zumal Daniel Barenboim dirigierte, der auch schon 75 ist und Verdi mit einer Mischung aus beklemmender Schwermut und weiser Gelassenheit hinter sich bringt - allzeit souverän und unaufgeregt. Womöglich eine Spur zu unaufregt für diese hochdramatische Handlung. Das alles war ohnehin Nebensache, denn es standen zwei Top-Weltstars auf der Bühne: Plácido Domingo in der Titelrolle und Anna Netrebko als Lady Macbeth.
Dass sich Domingo mit reifen 77 Jahren auf das Abenteuer dieser Partie eingelassen hat, ist geradezu furchteinflößend. Und er meisterte die Rolle mehr als achtbar. Als seine Zeit als Tenor unweigerlich vorbei war, machte er einfach als Bariton weiter, und weil er mit seiner Erfahrung ganz genau weiß, was er kann und was er nicht mehr kann, leistet er sich keinerlei Schwächen, Ausrutscher oder Ungenauigkeiten. Im Gegenteil, Domingo singt absolut kontrolliert, volltönend, artikulationssicher von der ersten bis zur letzten Note. Das ist insofern ein Problem, als Macbeth nun gerade kein kontrollierter Charakter ist, sondern unmäßig in jeder Hinsicht. In der Berliner Inszenierung ging das Rollenkonzept jedoch einigermaßen auf. Domingo wurde als grauhaariger, müder Feldherr gezeigt, der eigentlich am liebsten seine Ruhe hätte, gern Zeitung liest und ansonsten die anderen machen ließe.
Bildquelle: Bernd Uhlig Nur wegen seiner wesentlich jüngeren Frau lässt er sich offenbar auf Abenteuer ein. Anna Netrebko hatte ihren ganz großen Auftritt, wird auf einem blütenweißen Sofa sitzend, ganz in Schwarz gekleidet, langsam aus der Unterbühne hochgefahren, wie ein gefährliches Raubtier. Und prompt sticht sie ihre Stilettos ins Polster, räkelt sich wie ein Panther mit glänzendem Fell, wickelt das Publikum buchstäblich um ihre graziös spielenden Finger. Schon oft ist das dunkle Timbre der Netrebko beschrieben worden, diese samtige, mal melancholische, mal warme, immer frei strömende, kraftvolle Stimme, die selten so angemessen ist wie für die Rolle der Lady Macbeth. Ja, diese Shakespeare-Figur ist ein Raubtier, ein verlockendes, abgründiges, und die Netrebko verkörpert sie scheinbar mühelos.
Dass sich in diesem Fall trotzdem nicht die wünschenswerte Erschütterung einstellte, lag nicht an ihr, sondern an der kühlen Inszenierung. Ein Ärgernis war übrigens der Chor, in dem vieles wild durcheinander ging, der allerdings auch ausgesprochen ungünstig, nämlich weit hinten bzw. weit verteilt zu singen hatte. Viel Jubel für diesen Abend der Legenden.
Sendung: "Allegro" am 18. Juni 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Regie: Harry Kupfer
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Infos zu Terminen finden Sie auf der Homepage der Staatsoper.
ARTE sendet am 21. Juni 2018 um 20:15 Uhr den Mitschnitt der Oper.
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