Wie viel Philosophie steckt in Richard Wagners vertontem Liebesrausch? Sehr viel, jedenfalls in der Berliner Inszenierung des Russen Dmitri Tcherniakov, die am Sonntag in der Berliner Staatsoper Premiere feierte. Er zeigt das Musikdrama als Buddhismus-Meditation. Für den Regisseur gab es teils heftige Buhrufe, aber auch Dirigent Daniel Barenboim musste sich einiges an Protest anhören.
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DIE KRITIK ZUM ANHÖREN
Alle Achtung, was für ein aufmerksames, konzentriertes Publikum da gestern Abend, ausgerechnet am Faschingssonntag, in der Berliner Staatsoper zusammenkam, darunter ein überraschend dezent gekleideter Thomas Gottschalk. Mucksmäuschenstill war es über knapp sechs Stunden Aufführungsdauer, kaum Huster, kein Rascheln und Flüstern, dafür am Ende außerordentlich große Meinungsfreude: Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov handelte sich für seine Sichtweise auf Wagners "Tristan und Isolde" erwartbare, heftige Buhrufe ein, aber selbst der 75-jährige Dirigent Daniel Barenboim, der wie bei den Bayreuther Festspielen alle drei Aufzüge ohne Auftrittsapplaus begann, musste sich ein paar lautstarke Proteste anhören.
Die Inszenierung in Bildern
Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov schuf eine Neuinszenierung von Richard Wagners "Tristan und Isolde". | Bildquelle: Monika Rittershaus Für übertriebenen Respekt sind die Berliner Zuschauer nicht bekannt, und Barenboim weiß das offenkundig richtig einzuschätzen: Statt die Buhrufer zu ignorieren, trat er demonstrativ und herausfordernd noch einmal an der Seite des Regisseurs vor den Vorhang und genoss das Durcheinander von Jubel und Protest. Was für eine erstaunliche, ernsthafte Wagner-Huldigung! Barenboim ist nun wirklich ein ausgewiesener Kenner von "Tristan und Isolde". Er hat es nicht nötig, die Berliner Staatskapelle mit hektischer Schlagtechnik durch diese so fiebernde wie monströse Partitur zu geleiten. Beeindruckend, wie Barenboim immer wieder Einzelinstrumente im rasenden Klangsturm hörbar macht, etwa, wenn die Holzbläser mal höhnische, mal düstere Kommentare abgeben zum Bühnengeschehen.
Technisch stimmte wirklich alles, was für Ärger sorgte, war Barenboims Tempo. Vor allem im zweiten und dritten Aufzug neigte er zum Verschleppen, was die Sänger mitunter zwang, ihre Silben arg zu dehnen. Bei "Tristan und Isolde" ist Barenboims etwas breiter, auch mal gravitätischer Altersstil allerdings nicht so heikel wie etwa im "Ring des Nibelungen", wo es wesentlich rasanter zugehen sollte. Der derzeit international heiß gehandelte Regisseur Dmitri Tcherniakov brachte Teile des Publikums gegen sich auf, weil er "Tristan und Isolde" nicht als Liebesdrama zeigte, sondern als Ideendrama, genauer gesagt als Drama über die Liebe als Idee.
Andreas Schager als "Tristan" an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. | Bildquelle: Monika Rittershaus
Ein nachvollziehbares Konzept, bei Wagner geht´s ja nicht um Seitensprünge, Sex und Eifersucht, sondern um die Frage, was das eigentlich ist: Die vollkommene Liebe. Eine Antwort hat Wagner bekanntlich über den Umweg des Philosophen Arthur Schopenhauer im Buddhismus gefunden. Höchste Liebe ist demnach die durchaus von sexueller Sehnsucht getriebene Lust am Nicht-Sein, an der gemeinsamen Auflösung, oder, mit den letzten Versen von "Tristan und Isolde" formuliert: "In des Welt-Atems wehendem All – ertrinken, versinken – unbewusst – höchste Lust!" Hört sich kompliziert und anstrengend an, aber Dmitri Tcherniakov fand dafür ein eingängiges Bild.
Tristan ist anscheinend der einzige, der inmitten einer elitären Salongesellschaft liest. Und er liest wohl Schopenhauer, denn im großen Liebesduett mit Isolde wedelt er mit seinem Buch und will sie von Wagners Buddhismus überzeugen. Er freut sich ausgelassen, als es ihm gelingt, als sich beide der Sehnsucht nach der Nacht und dem Untergang hingeben.
Und was in dieser Inszenierung besonders berührte: Auch wer wie Tristan der Welt aus voller Überzeugung entsagt, stirbt deshalb nicht leichter. Sein Ende ist gleichwohl schmerzlich, elend, furchtbar, erschwert durch Erinnerungen an seine Eltern - der Vater starb vor, die Mutter bei Tristans Geburt. Der Sohn wächst ohne Urvertrauen auf, hineingeworfen in die aufgeregte Welt. Ausstatterin Elena Zaytseva hatte drei exklusive Wohnquartiere entworfen, letztlich illustrierten sie die Hölle der Bildungsbürger, von einem Gaze-Vorhang abgetrennt, auf dem sehr kurze Videosequenzen zu sehen waren. Anja Kampe als Isolde meisterte ihre Riesen-Partie sehr achtbar, musste aber hörbar Kräfte mobilisieren, ihre Stimme in die Höhe stemmen. Andreas Schager als Tristan verfügte dagegen über unfassbar viel Energie und hatte das umgekehrte Problem: Weil er so konditionsstark ist, muss er aufpassen, nicht alles gleichermaßen laut und damit einförmig zu singen. Herausragend auch der israelische Bariton Boaz Daniel als Kurwenal und Ekaterina Gubanova als Brangäne. Insgesamt mehr Liebesbeben als Liebesleben - so sollte es sein!
Sendungen:
"Allegro" am 12. Februar 2018, 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK