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Lena Muchina, Tagebuchaufzeichnung vom 2. September 1941
"Der Feind steht vor den Toren Leningrads! In der unmittelbaren Umgebung von Leningrad kämpfen die tapferen Soldaten der Roten Armee…!" Das sagte die Rundfunksprecherin. Ich habe geschlafen, aber man erzählt, dass man in dieser Nacht deutlicher als früher den Kanonendonner hörte. Seit heute wurden die Lebensmittelkarten zustehenden Rationen verringert. Wir bekommen jetzt nur noch ein Kilogramm Brot am Tag. Bin gerade draußen herumgelaufen. Habe die Lebensmittelläden abgeklappert. Wie trist und leer es doch überall ist!“ | Bildquelle: imago/ITAR-TASS
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Tatjana Polotowskaja, 11 Jahre, Zeitzeugin
"Mein Vater musste die Lebensmittelkarten von seiner Arbeitsstelle abholen und meine Mutter schickte mich mit. Es war ein weiter Weg. Wir gingen am Hospital vorbei, in dessen Park die gestapelten Leichen der Verhungerten und Erfrorenen lagen, in Decken eingenäht. Die Leichen wurden dort gesammelt, um sie später zum Piskarjowka-Friedhof zu transportieren. Wir haben die Lebensmittelkarten bekommen und Mutter konnte Brot kaufen. An den Rückweg erinnere ich mich kaum. Vater war danach so erschöpft, dass er wenige Tage später starb." | Bildquelle: imago/ITAR-TASS
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A.D. Skiljagin, Major der Miliz
"Es war bezeichnend, dass viele dieser Verbrechen (Raubmorde, Anm. d. Red.) nicht von alten kriminellen und nicht von asozialen Elementen begangen wurden, sondern von Personen, die durch den Hunger, die Bombardierungen und Beschießungen zur Verzweiflung getrieben worden waren, Personen, die durch die Last dessen, was sie erlebten, psychisch gebrochen waren." | Bildquelle: imago/Itar-TASS
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J. Babuschkin über das Radiosymphonieorchester, Jan. 1942
"Die erste Violine liegt im Sterben, der Pauker starb auf dem Weg zur Arbeit, das Waldhorn ist todkrank." | Bildquelle: imago/ITAR TASS
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Lena Muchina, Tagebuchaufzeichnung vom 20. Januar 1942
"Es ist kalt, stets fühle ich den ungestillten Hunger. (…) Schrecklich, sich vorzustellen, welche furchtbaren Grausamkeiten die Faschisten begehen. Sie verwandeln die verlassenen Gebiete in eine entvölkerte Einöde, und das geschieht planvoll, aufgrund von Sonderbefehlen. Trümmer, Aschehaufen und Leichenberge - das finden unsere Soldaten in den zurückeroberten Gebieten vor. Das Blut gefriert einem in den Adern bei dem Gedanken, dass das alles kein Traum ist." | Bildquelle: imago /ITAR-TASS
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Schriftstellerin Lena Gorelik im Interview mit der SZ, 2014
"Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind einige Denkmäler abgerissen worden. Doch in Sankt Petersburg steht, soweit ich weiß, noch alles. Dort lebt der Mythos. Wenn man in die Stadt hineinfährt wird man begrüßt von der "Heldenstadt Leningrad". Die Belagerung gehört zu Sankt Petersburgs Identität. Noch lebende Kriegsveteranen und Menschen, die damals in der Stadt ausharrten, werden verehrt." | Bildquelle: imago/ITAR-TASS
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Die Zitate der Zeitzeugen stammen aus folgenden Quellen:
Ursula Reuter, Thomas Roth: "Lebenswege und Jahrhundertgeschichten - Erinnerungen jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Nordrhein-Westfalen" Emons Verlag 2013 +++ Harrison E. Salisbury: "900 Tage - Die Belagerung von Leningrad" S. Fischer Verlag 1970 +++ Süddeutsche Zeitung, Interview mit Lena Gorelik vom 24. Januar 2014 +++ Lena Muchina: Lenas Tagebuch. Leningrad 1941-1942, Ullstein 2013 | Bildquelle: imago/ITAR-TASS